Rhetorik-Training konstruktiv

In der herkömmlichen Rhetorik-Schulung ist die wichtigste Entscheidung längst getroffen: die Entscheidung, dass du öffentlich auftreten wirst. Zur Verfügung stehen einige wenige Rollen, in denen du überwiegend verpflichtet bist, das Publikum auf deine Seite zu ziehen.

Für die meisten von uns produziert dies praxisferne Ideale. Deshalb hier nochmals der Grundsatz der konstruktiven Rhetorik in drei einfachen Schritten.

Die erste Frage: Willst du öffentlich reden?

Öffentlich in diesem praktischen Sinne bedeutet: vor einem Publikum, das mit einer bestimmten Rollenerwartung zuhören wird. (Sie geben dir die Rolle einer Lehrerin, eines Firmensprechers, einer Gemeindepräsidentin usw.)

Die zweite Frage: Welches Redeziel hast du?

Wenn du dich für eine „öffentliche“ Rede entschlossen hast (und in unserem Sinne kann das auch ein Auftritt vor fünf Mitarbeitern in der Werkstatt sein), ist die nächste Frage:

Willst du primär informieren, berichten, belehren, erzählen – also Grundlagen für weitere Erkenntnisse vermitteln?

Oder willst du primär überzeugen – also deine Meinung gegen andere Meinungen vertreten?

(Weitere Redeziele lassen wir dabei außer Acht. Das wären zum Beispiel das Feiern eines Rituals, das Beglückwünschen einer Persönlichkeit usw.)

Die dritte Frage: Wie kommen wir ins Gespräch?

Wenn du eine Überzeugungsrede halten willst, dann bist du bei einem Trainer gut aufgehoben, der verspricht, dir die Geheimnisse von Steve Jobs, Barack Obama, Joschka Fischer, Christoph Blocher oder ähnlichen Helden zu verraten. Sie werden dir Maßstäbe vorsetzen, die für Menschen gelten, die sich ihr Leben lang solche Reden auf den Leib schneidern ließen und die du nie kopieren kannst (falls du das wirklich für erstrebenswert hältst).

Sie werden dir vorgaukeln, dass du lernen sollst, vor den Leuten zu brillieren und sie mit einer geschliffenen Rede auf deine Seite zu ziehen. Viel Glück dabei!

Wenn du aber wie viele andere primär Informationsreden halten musst, dann kannst du viel Ballast abwerfen. Denn dann stehst du nicht mehr vor einer passiven Masse, die dir zujubeln soll, sondern du hast es mit Menschen zu tun, die mitdenken und mitreden sollen.

Deine Rede ist dann nur ein Glied in einer Kette von Reden, ein einzelner, aber wichtiger Beitrag in einem Diskurs, an dem auch andere teilnehmen.

Dein Ansatz ist dann nicht die Überredungskunst, sondern der Dialog.

Jetzt ist die Frage nicht mehr: Wie ziehe ich die Leute auf meine Seite? Sondern: Wie komme ich mit ihnen ins Gespräch?

Vielleicht ist das, was dir die Leute während deiner Rede zurufen, wichtiger, als was du sagst. Vielleicht beginnen die guten Erkenntnisse erst, wenn dein Auftritt zu Ende ist und die Gespräche in kleinen Gruppen weitergehen.

Auf jeden Fall wird das aber deinen Erfolgsdruck mindern. Denn die Leistung werdet ihr gemeinsam erbringen, du und dein Publikum.

Rhetorik-Training ist anders

Fragt mich doch Oliver Schroeder im Interview, ob sich der Rhetorik-Unterricht seit Aristoteles und Co. (384-322 v. Chr.) grundlegend geändert habe. Klar hat er sich.

Aristoteles nahm vieles für selbstverständlich, das wir uns zuerst erarbeiten müssen, zum Beispiel die Tatsache, dass du dich plötzlich vor einem Publikum findest. Aristoteles ist der Theoretiker der Beredsamkeit und fängt da an, wo es darum geht, „ein Argument zu prüfen bzw. zu stützen sowie sich zu verteidigen oder anzuklagen“ (1. Kapitel in der Übersetzung von Franz G. Sieveke).

Der Inhalt kommt erst im zweiten Schritt

In einem heutigen praktischen Rhetorikkurs fange ich nicht mit dem Inhalt an, sondern damit, was es heißt, vor einem Publikum zu reden. Ich wende mich an Menschen, denen das einfache Gespräch im Alltag leichtfällt, die aber einen riesigen Unterschied spüren, wenn sie vor Publikum reden müssen. Weiterlesen

Ist Online-Unterricht weniger wert?

Corona hat die Aus- und Fortbildung vom Hörsaal ins Netz gezwungen. Studierende in den USA fühlen sich dadurch um Teile ihrer horrenden Studiengebühren betrogen, die ihnen mit dem Argument abgeknöpft werden, dass sie von den Lehrkräften persönlich und in kleinen Gruppen unterrichtet werden und Wissenschaft hautnah erleben– ganz abgesehen von den Sport- und Freizeitaktivitäten, die jetzt eingestellt sind.

Jetzt werden laufend Hochschulen von Studierenden verklagt, sie einen Teil ihrer Studiengebühren zurückfordern.

Das alles mag auf Studierende und DozentInnen in Europa exotisch wirken, für die Studiengebühren meist das geringste finanzielle Problem sind.

Aber da ist ein Argument, das aufhorchen lassen muss (und an die Diskussionen im Vorfeld der Abiturs- und Maturitätsprüfungen erinnert): Weiterlesen

Tipps für den Online-Vortrag (Teil I)

Ein Seminar. Du hast es schon Dutzende Male geleitet. Aber jetzt muss es plötzlich online stattfinden. Du hast nur dein Laptop vor dir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgen dir per Handy, Tablet oder PC. Wie gelingt trotzdem ein Dialog? Hier einige Tipps.

1. Präsentiere kurze Einheiten

Reduziere die Zeit, die du für den Vortrag brauchst!

Wenn dein Vortrag einst 30 Minuten gedauert hat, teile ihn in mindestens drei Teile auf.

Vielleicht wurde dein Vortrag immer durch Aktivität der Teilnehmenden ergänzt. Fordere sie auch online zu solchen kreativen Übungen auf und reduziere dabei deinen eigenen Beitrag so stark wie möglich. Deine Aufgabe besteht darin, Theorie zu vermitteln, aus Erfahrungen zu berichten, Beiträge der Teilnehmenden zu kommentieren. Aber sie lernen am meisten durch die Aktivität, zu der du sie aufforderst (und die du danach kommentierst).

2. Freunde dich mit der Kamera an.

Für Blickkontakt mit dem Publikum gilt online noch mehr als sonst: Blickkontakt mit einer einzelnen Person. Diese Person sitzt ganz nah vor dir, und du schaust ihr in die Augen, wenn du den kleinen Kamerapunkt über deinem Monitor ansiehst. Weiterlesen

Menschen, denen das Reden schwer fiel, Teil 6: Du

Viele Menschen berichten über Schwierigkeiten beim Reden, über Angst vor dem Auftritt, über Lampenfieber. Die bisherigen Beiträge sollten zeigen, wie einige von ihnen damit umgegangen sind. Hier eine kurze Zusammenfassung.

Tipps zum Thema Lampenfieber

Es gibt äußerst nützliche Bücher zum Thema Lampenfieber. Lampenfieber von Claudia Spahn und Vom Lampenfieber zur Vorfreude von Irmtraud Tarr sind (neben Erklärungen zur Entstehung von Lampenfieber) voll von guten Übungen, die helfen, mit seinem Körper, seinen Gedanken und seinen Gefühlen anders umzugehen.

Solche Lehrbücher können vorbehaltlos empfohlen werden, auch wenn sie sich vor allem an Menschen in künstlerischen Berufen wenden.

Wir aber haben das Glück, dass wir als Amateure des Redens ein ganz anderes Ziel haben: Weiterlesen

Menschen, denen das Reden schwer fiel, Teil 5: Jan Masaryk, Heinrich Gretler

Jan Masaryk, Diplomat, Außenminister, und in der Erinnerung vieler auch „kosmopolitischer Lebemann“, hielt in seinem Leben eine Unmenge Reden. Er war ein gefragter Redner, und ihm war bewusst: Um seine Ziele zu erreichen, musste er sich immer wieder einem großen Publikum stellen und es informieren – über die Situation der slavischen Völker, über die soziale Lage der Arbeiterschaft, über den Alkoholmissbrauch… Berühmt sind seine Rundfunk-Ansprachen aus dem Londoner Exil während des Zweiten Weltkriegs. Und auch wenn er sich selbst für einen schlechten Lehrer hielt, sprach er während seiner Zeit als Universitätsdozent in vollen Hörsälen.

Masaryk aber sagt von sich (in den Gesprächsbänden, die Karel Čapek herausgegeben hat), er habe eine Scheu vor Menschen:

Ich spreche ungern; so oft ich vortragen und in Versammlungen oder in der Schule reden sollte, immer hatte ich Lampenfieber. Und dennoch, wie viele Reden habe ich gehalten! Auch heute leide ich an Lampenfieber, wenn ich öffentlich auftreten oder eine Rede halten soll.

Und er hat sich trotzdem immer wieder dazu überwunden. Weiterlesen

Menschen, denen das Reden schwer fiel, Teil 5: Greta Thunberg, Konrad Lorenz und andere

Greta Thunberg steht vor einigen hundert Zuhörerinne und Zuhörern, einsam auf einer riesigen Bühne, die auch älteren Rednern Ehrfurcht einflößen würde. Man sieht ihr an, dass sie sich nicht wohl fühlt. Aber sie redet trotzdem. Sie sagt: Ich habe das Asperger-Syndrom, und das bedeutet, dass ich nur spreche, wenn es notwendig ist. Und dann fügt sie hinzu: Jetzt ist es notwendig.

Later on, I was diagnosed with Asperger syndrome, OCD and selective mutism. That basically means I only speak when I think it’s necessary – now is one of those moments.

Sie hält ihre Rede, weil sie überzeugt ist, dass sie gebraucht wird, um die Letzten aufzurütteln, die noch nicht an den Klimawandel glauben.

Das Gegenteil von Dialog

Ihr Blick geht mal hierhin, mal dorthin. Sie vermeidet Blickkontakt, wohl weil das auch etwas ist, das Aspergern schwerfällt. Viele andere haben es leichter, wenn sie eine Person im Publikum finden, der sie in die Augen schauen können. Greta weicht aus und verfolgt ihren Faden, ohne näher hinzusehen.

Dass sie trotzdem erfolgreich ist, bringt einen Rhetorik-Dozenten in Argumentationsnöte, der seit Jahren empfiehlt: Such dir im Publikum ein freundliches Gesicht, zu dem du reden kannst, und alles geht besser. Für Greta geht auf die Weise nichts besser. Deshalb schaut sie lieber nicht hin. Oder besser: Sie lässt ihren Blick über das Publikum schweifen, ohne sich auf Blickkontakt einzulassen. Manchmal hält sie einen Sekundenbruchteil inne. Sie sieht die Leute, so scheint es, aber sie schaut sie nicht an.

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Menschen, denen das Reden schwerfiel, Teil 4: Thomas Jefferson

Thomas Jefferson gilt als der schlechteste Redner, der je US-Präsident wurde. Dabei wird er als noch heute als einer der bedeutendsten gesehen. Er war z.B. der wohl wichtigste Autor der Unabhängigkeitserklärung. Und es war ihm gegeben, die Staatsfläche der USA um fast 100 Prozent zu erweitern, ohne dafür Krieg zu führen.

Aber er hasste es, öffentlich zu reden. Wenn er konnte, vermied er es, wo immer es ging, seine Botschaften mündlich vorzutragen – auch bei Ritualen, die man sich gar nicht anders vorstellen konnte. So hatten seine Vorgänger den Brauch eingeführt, dass die jährliche Session des Kongresses mit einer Rede des Präsidenten begann. Heute ist das die viel beachtete Ansprache “zur Lage der Nation”. Jefferson kündigte diese Tradition auf und schickte stattdessen einen schriftlichen Text ins Kapitol. Dort ließ er ihn von seinem Privatsekretär vorlesen. (Cunningham 1978, 25-26)

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Menschen, denen das Reden schwerfiel, Teil 3: Susan Cain

Susan Cain ist eine bekennende Introvertierte. In ihrer Familie schuf man Gemeinsamkeit, indem sich jeder im Wohnzimmer in eine Ecke kuschelte und ein Buch las. Als sie als Kind zum ersten Mal ins Summer Camp durfte, hoffte sie auf lauter solche Erlebnisse – und wurde bitter enttäuscht. Denn dort – wie im späteren Leben fast überall – ging es darum, ständig ausgelassen und in Bewegung zu sein.

Weil sie fand, die Gesellschaft und die Art, wie man sich zu geben hat, sei von Extravertierten dominiert, schrieb sie 2012 das Buch: Quiet (in der deutschen Übersetzung: Still). Es ist ein gut dokumentiertes Plädoyer gegen die Dominanz der Extravertierten und für eine Aufwertung der Werte, die introvertierte Menschen verkörpern.

In diesem Buch erzählt sie von ihrer Angst vor öffentlichen Auftritten, die sie bis ins Erwachsenenalter begleitet hat. Sie bekämpfte diese Angst in einem spezialisierten New Yorker Kurszentrum. Dort fand sie sich in einer Gruppe von lauter Menschen mit ähnlichen Problemen wieder: Menschen, für die es die Hölle war, sich vor eine Gruppe zu stellen und zu dieser zu reden.

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Menschen, denen das Reden schwerfiel, Teil 2: Marie Curie

1921 war Marie Curie schon die berühmteste Wissenschaftlerin der Welt und noch immer zurückhaltend und unsicher, wenn sie vor anderen Menschen auftreten musste. Sogar ihre Vorlesungen vor einer kleinen Zahl Studierender bereiteten ihr regelmäßig Lampenfieber.

Es war nicht nur ihre Schüchternheit, die sie überwinden musste. Als Frau in einer männerdominierten Wissenschaftswelt wusste sie, dass ihr, wo sie auch auftrat, viele feindlich gesinnt sein würden.

1921 war das Jahr, in dem sie zum ersten Mal in die USA reiste. Man für sie dort Geld gesammelt, um ihre Arbeit zu unterstützen, indem sie ein Gramm des Elements – Radium – erstehen konnte, das sie und Pierre Curie 1898 entdeckt hatten.

Mut zum Dialog

Sie wurde in den USA stürmisch begrüßt und während der von einer Welle der Sympathie getragen. Und als sie von ihrer achtwöchigen Reise zurückkam, hatte sich ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit geändert. Sie nahm von da an mehr öffentliche Aufgaben wahr und bewies, zumindest ein der Darstellung der Autorin Shelley Emling, ein weniger problematisches Verhältnis zu öffentlichen Auftritten.

Laut Emlings biografischer Erzählung hat sie in der Zeit erfahren, dass in ihrem Publikum nicht nur Skeptiker und Gegner saßen, sondern Menschen, die bereit waren, ihre Arbeit zu unterstützen (Emling 2013, xvi).

Zum einen hat dies einen sehr konkreten Hintergrund: In Europa war sie vielen Anfeindungen ausgesetzt, von denen in den USA weniger zu spüren war. Zum anderen lässt es auch ahnen, dass sich ihre Beziehung zu ihrem Publikum veränderte. Sie konzentrierte sich – so würde ich es interpretieren – weniger auf die mögliche Ablehnung, die ihr widerfahren konnte, und mehr auf das Gemeinsame, die Sympathie, die in jedem Auditorium vorhanden war. Eine Rede entsteht in der Zusammenarbeit von Rednerin und Publikum. Je zuversichtlicher man sich das sagt, desto leichter wird man es haben.

 

Menschen, denen das Reden schwerfiel, Teil 1: Hermann Minkowski

Wer vor Publikum reden soll, muss eine Schwelle überwinden: Der Raum weitet sich. Die Zuhörenden sind in Überzahl. Die Zeit ist begrenzt. Es wird Öffentlichkeit hergestellt. Die sprachliche Form, die erwartet wird, unterscheidet sich drastisch von der sonst  gewohnten Form.

Kein Wunder, dass diese Art des Redens vielen Menschen schwerfällt. Aber es kann wohltun, von anderen zu erfahren, dass es ihnen auch so geht – auch von erfolgreichen Politikern (wie Johannes Rau), Wissenschaftlerinnen (wie Marie Curie) oder Künstlern (wie Loriot).

Und solche Biografien zu studieren, kann dabei helfen, den Fokus zu verstellen. Für die allermeisten von uns gilt: Nicht die brillante Darbietung ist das Wichtige, sondern der Inhalt. Und wir werden gebeten, vor anderen zu reden, weil wir für eine Sache kompetent sind. Wir müssen in den meisten Fällen keinen Wahlkampf gewinnen und keinen Saal zur Ekstase bringen. Wir müssen ganz einfach das präsentieren, woran wir lange genug gearbeitet haben, um es auch überzeugend vortragen zu können.

Hermann Minkowski, der Mathematiker und Physiker, war vor Publikum – auch vor den jungen Studenten, die ihn verehrten – so sehr befangen, dass er oft ins Stottern kam. Aber dann kam er als Professor nach Göttingen, und traf auf ein Publikum, das in der Lage war, ihn und seine Botschaft warzunehmen.

Die Autorin Constance Reid beschreibt es so:

Die Studierenden erkannten sofort, dass sie das Vorrecht hatten, einen „wahren mathematischen Dichter“ zu hören. Ihnen schien es, als ob jeder Satz, den er sprach, zum Leben erwachen würde, indem er ihn sprach. (Reid 1996, 92)

Um dies zu erreichen, braucht es zwei: Ein Publikum, das bereit ist, mitzudenken, und einen Redner, der weiß, dass das seine Rede letztlich ein Gemeinschaftswerk ist – ein Werk von Publikum und RednerIn.

Wer die Schwelle mit dieser Einstellung überschreitet, lässt sich mehr Zeit, um auf die Zuhörenden einzugehen. Er oder sie formuliert adressatengerechter, um verstanden zu werden. Und verabschiedet sich von der Vorstellung, perfekt sein zu müssen, zugunsten der Vorstellung, ein fruchtbares Gespräch anzustoßen.

Wie du dein Seminar ohne Aufwand optimierst: Einige “Don’ts” und “Dos”

Tu folgende Dinge, und du bringst dein Seminar echt in Gefahr:

Fang ohne Vororientierung an! – Ignoriere Motivation und Vorwissen der Teilnehmer! – Benutze Kernbegriffe, ohne sie zu definieren! – Erzähle von deinem unermüdlichen Kampf für das Gute! – Mach deine Konkurrenten schlecht! – Setze Pausen an, die nicht ausreichen, um aufs Klo zu gehen! – Rede, rede, rede und verzichte darauf, die Leute zu beteiligen! – Führe Zweiergespräche mit einzelnen Teilnehmern! – Lass dich zu Diskussionen über Nebensachen verleiten! – Mach den Abschluss ohne Rückblick und Feedback!

Oder positiv gewendet: Beherzige die folgenden Regeln

Hier dieselben Regeln nochmals, aber ausführlicher und positiv formuliert.

Ausgangspunkt: Beobachtungen bei einem Seminar von 2 Tagen.
Publikum: Knapp 50 Personen mit einer gewissen Vorbildung. Sie sind zum Teil von weit her gefahren und kennen einander zum Teil.
Ort: Saal in einer ländlichen Wirtschaft. Die TeilnehmerInnen sitzen an vier Tischen parallel aufgestellten Tischen. Für den Seminarleiter ist an der Stirnseite ein Tisch quergestellt. Darüber an der Wand eine Leinwand, an der Decke ein Beamer.

1. An den Beginn gehört eine Vororientierung

Die SeminarteilnehmerInnen brauchen eine Struktur, an der sie sich in den folgenden Tagen orientieren können. Die ist im besten Fall verbal und visuell. Verbal ist es eine kurze Information über Zweck und Ablauf. Visuell ist es ein Programm, das sie vor sich auf dem Tisch oder auf einer Tafel an der Wand haben – irgendwie: Nicht das Medium ist entscheidend, sondern die Verfügbarkeit. Als Teilnehmer will ich jederzeit sehen können, wo wir uns befinden und wie lange es noch gehen wird.

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Konstruktive Rhetorik: Vom Vortrag zum Dialog

Es geht nicht darum, vor dem Publikum zu brillieren. Es geht darum, mit ihm in den Dialog zu treten. Das macht die Sache leichter – für Redner/in und Publikum.

Die Kunst, gut zu reden (ars bene dicendi): Das ist die klassische Definition von Rhetorik. Die Rhetorik als wissenschaftliche Disziplin untersucht gleichermaßen Parlamentsreden und psychologische Beratungsgespräche, Seminarvorträge und Mobbingtaktiken. Für die Praxis ist das nicht sehr hilfreich. Denn für das Reden vor Publikum braucht es ganz andere Fähigkeiten als für das Gespräch im Alltag.

Vor einem Publikum sind die Rahmenbedingungen anders

Den meisten Menschen fällt das öffentliche Reden, auch vor einer kleinen Gruppe, schwerer als das private Gespräch. Das gilt auch für erfolgverwöhnte “Macherinnen” und “Macher”. (Vgl. z.B. die Geschichte von Henry Ford.) Weiterlesen

Unruhe im Saal – katastrophal?

Oft fühlst du dich durch Unruhe im Saal gestört: Leute schwatzen oder jemand beschäftigt sich deutlich mit anderen Dingen. Aber Störungen im Vortrag sind keine Katastrophe. Wenn du dir einige Dinge vorher überlegt hast, geht alles leichter.

Der Dozent interveniert

Donald Sadoway unterrichtet am MIT ein Fach namens Festkörperchemie. Seine Einführungsvorlesungen werden im Internet hunderttausendfach angeklickt. Er hat die Gabe, anspruchsvolle Themen anschaulich zu machen, so dass zumindest der Einstieg leicht fällt.

Aber er hat auch etwas gegen Störungen. Am Anfang der Vorlesung Nummer 7 (knapp eine Minute nach Beginn der Aufzeichnung) unterbricht er sich plötzlich. Weiterlesen

Henry Ford patzt

Dem Publikum gerecht werden – das geht nur, wenn man es ernst nimmt.

Henry Ford, der den Mittelklasse-Amerikanern ein erschwingliches Auto, Zehntausenden Arbeitern eine Anstellung und Millionen den Traum des America first näher gebracht hatte, war 1923, also knapp 90 Jahre vor dem politischen Abenteuer Donald Trumps, der beliebteste Name für die Präsidentschaftswahlen des Jahres 1924. Er galt zwar in Politikerkreisen als wenig geeignet für das Amt, das er ähnlich wie seine Unternehmen zu führen gedachte. Aber aus heutiger Sicht wäre er mit seinen liberalen Ansichten (von Frauenrechten über die Gleichstellung von Schwarzen zum Pazifismus und zur Bekämpfung der Todesstrafe) eine Bereicherung für den Wahlkampf gewesen.

Wenn da nicht das Problem gewesen wäre, dass Wahlkampf vor allem Reden bedeutete. Weiterlesen

Charisma gibt es nicht

Warum ist das Thema “Charisma” so faszinierend? Vielleicht wäre es besser, auf diesen Gummibegriff zu verzichten – zumindest in der Politik – oder ihn wenigstens zu klären, bevor man mit ihm um sich wirft.

Barack Obama wird zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt. Der Spiegel ruft an, die nächste Titelgeschichte soll zum Thema Charisma sein.
Baden-Württemberg wählt ein neues Parlament. Der SWR fragt an, ob ich ein Interview zum Thema Charisma gebe.
Bundeskanzlerin und Herausforderer debattieren im Fernsehen. Der BR will ein Gespräch zum Thema Charisma senden.

Es stellen sich immer wieder die gleichen Fragen:

  • Was ist Charisma?
  • Kann man Charisma inszenieren?
  • Wie inszeniert man Charisma?
  • Aber bei XY (Barack Obama/Willy Brandt/Lady Diana/Martin Luther King/dem Dalai Lama/Mutter Teresa…) war es doch echtes Charisma?

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Warum eigentlich Medien?

Abschiedsvorlesung an der Universität Tübingen
(2. Februar 2017)

Download als PDF:
Juerg Haeusermann Warum eigentlich Medien

1       Eine Zeitungsmeldung aus dem Jahr 1863

Vor einem guten Jahr saßen wir an der irischen Westküste zusammen mit einem Urenkel von Thomas Crosbie. Er erzählte uns die Geschichte von seinem Großvater, einem Pionier des modernen Journalismus.

Ausschnitt aus der New York Times vom 20. November 1863

Thomas Crosbie gab in Cork den Irish Examiner heraus, damals noch Cork Examiner. Crosbie hatte mit 15 Jahren angefangen, bei der Zeitung zu arbeiten. Und er hatte eine gute Reporternase.

Nun ist Cork nicht gerade der Nabel der Welt. Aber vor Cork lag einer der wichtigsten transatlantischen Häfen Irlands. Immer, wenn eines der großen Passagierschiffe aus Amerika im Hafen einlief, fuhr er ihm mit seinem kleinen Ruderboot entgegen. Und dann fragte er die Passagiere, die über die Reling hingen, nach frischen Nachrichten aus der Neuen Welt. Meist bekam er auch eine aktuelle Zeitung, d.h., eine, die aktuell gewesen war, als das Schiff in den USA ablegte, zwei Wochen zuvor.

Weil Schiffe aus Amerika die irische Westküste Stunden und Tage früher als andere europäische Häfen erreichten, hatte Crosbie einen Vorsprung auf alle anderen Nachrichtenredaktionen. Schon früh hatte er ein Abkommen mit der Londoner Times geschlossen, dass er ihr Neuigkeiten durchtelegrafierte.[1]

Am 2. Dezember 1863 bekam Crosbie ein Exemplar der New York Times in die Hand. Weiterlesen