Konstruktive Rhetorik: Vom Vortrag zum Dialog

Es geht nicht darum, vor dem Publikum zu brillieren. Es geht darum, mit ihm in den Dialog zu treten. Das macht die Sache leichter – für Redner/in und Publikum.

Die Kunst, gut zu reden (ars bene dicendi): Das ist die klassische Definition von Rhetorik. Die Rhetorik als wissenschaftliche Disziplin untersucht gleichermaßen Parlamentsreden und psychologische Beratungsgespräche, Seminarvorträge und Mobbingtaktiken. Für die Praxis ist das nicht sehr hilfreich. Denn für das Reden vor Publikum braucht es ganz andere Fähigkeiten als für das Gespräch im Alltag.

Vor einem Publikum sind die Rahmenbedingungen anders

Den meisten Menschen fällt das öffentliche Reden, auch vor einer kleinen Gruppe, schwerer als das private Gespräch. Das gilt auch für erfolgverwöhnte “Macherinnen” und “Macher”. (Vgl. z.B. die Geschichte von Henry Ford.)

Und wer jemandem begegnet, der als begnadeter Redner gilt, macht oft die Beobachtung, dass dessen Redeweise im kleinen Kreis unpassend wirkt.

Der amerikanische Politiker Daniel Webster, dessen Reden im Kongress noch heute zu den größten rhetorischen Leistungen der Geschichte gezählt werden, trat jeweils so fulminant auf, dass man für ihn den Übernamen „Dampfmaschine in Hosen“ erfand. (Dale Carnegie [1940] zitiert ihn öfters in: Die Macht der Rede. Zürich: Scientia, S. 104.) Die Energie, die er einsetzte, war für den öffentlichen Auftritt in seiner Zeit ideal. Wäre er aber privat als „Dampfmaschine in Hosen“ aufgetreten, hätte das garantiert abschreckend gewirkt.

Um im Reden vor Publikum erfolgreich zu sein, muss man zuerst den Unterschied zwischen nicht-öffentlichem und öffentlichem Reden begreifen, die in der eigenen Kultur üblich sind: Welches sind die Anforderungen? Wie reagieren die Redner gewöhnlich auf diese Anforderungen? Und was kann ich tun, um in der Öffentlichkeit so zu reden, dass meine Rede effektiv ausfällt und ich mich dabei wohlfühle?

Viele Anforderungen öffentlicher Rede stellen sich nur scheinbar. Dazu gehört der Anspruch auf Perfektion: druckreif formulieren, Versprecher vermeiden, mit großen Gesten brillieren. Das alles sind Ziele, die einem das Reden schwer machen und, wenn man nicht über eine Ausnahmebegabung verfügt, die Distanz zum Publikum vergrößern. Die Lösung besteht deshalb darin, möglichst viele nützliche Mittel aus dem Zweiergespräch in die öffentliche Rede zu übernehmen, die Rede als Dialog zu verstehen.

Kontakt finden trotz Distanz

Einigen Anforderungen muss man sich auf jeden Fall stellen. Dazu gehört der Umgang mit dem Raum: Wer eine Rede hält, muss einen ganzen Raum füllen. Das bedeutet einen anderen Einsatz von Stimme, Rhythmus, Pausen usw. Das Ziel ist dabei, den Raumverhältnissen gerecht zu werden und dabei die Distanz zum Publikum zu überbrücken.

Frage dich, was dir in den Situationen hilft, wenn dir das Reden leicht fällt. Für viele Menschen sind dies Situationen im privaten Gespräch mit vertrauten Personen. Da klingen sie interessanter, haben mehr Blickkontakt. Schon wenn es gelingt, einen ähnlichen Sprechrhythmus zu finden, ist viel gewonnen. (Dabei liegt die Betonung auf “ähnlich”. Du wirst in der Öffentlichkeit immer anders reden – aber du kannst die Elemente übernehmen, die dialogtypisch sind.) Im Gespräch findet man auch leichter die richtigen Worte, weil man ja ein Gegenüber hat, das einem zu Hilfe kommt. In einem dialogisch verstandenen Vortrag funktioniert das auch – und es fällt einem dabei kein Zacken aus der Krone.

Wie das geht, zeige ich in meinem Buch Konstruktive Rhetorik. Es wendet sich an Menschen, die in Beruf und Freizeit Vorträge halten, Betriebsführungen leiten, größere oder kleinere Gruppen begrüßen, unterhalten, informieren instruieren…

Das Buch Konstruktive Rhetorik mit Link auf den Verlag Narr/UVK
Jürg Häusermann: Konstruktive Rhetorik

Es enthält einen ersten, einführenden Teil, der die Besonderheiten des Redens in der Öffentlichkeit kritisch darstellt, und einen zweiten, praktischen Teil, in dem gezeigt wird, wie man so auftritt, dass die Sache beiden Seiten, RednerIn und Publikum, leicht fällt. Viele Beispiele, Tipps und Übungsanleitungen helfen dabei, eine Rede als Dialog zu verstehen. Das Ziel ist immer, dem Publikum näher zu kommen und die Verständigung als Aufgabe zu sehen, an der beide, Redner und Publikum, zusammenarbeiten. Das Resultat ist eine konstruktive Rhetorik: Erfolg dank Dialog.

Beispiele für dialogisches Vorgehen:

  • Passende Fragen zu stellen, ist wichtiger, als kunstvolle Thesen zu formulieren.
  • Wichtiger als passende Fragen zu stellen, ist konstruktiv auf die Antworten zu reagieren.
  • Wichtiger als konstruktiv auf die Antworten zu reagieren, ist, das Publikum wahrzunehmen.
  • Nur wer merkt, ob die Leute noch dabei sind, kann rhetorische Mittel auch wirksam einsetzen.