In der herkömmlichen Rhetorik-Schulung ist die wichtigste Entscheidung längst getroffen: die Entscheidung, dass du öffentlich auftreten wirst. Zur Verfügung stehen einige wenige Rollen, in denen du überwiegend verpflichtet bist, das Publikum auf deine Seite zu ziehen.
Für die meisten von uns produziert dies praxisferne Ideale. Deshalb hier nochmals der Grundsatz der konstruktiven Rhetorik in drei einfachen Schritten.
Die erste Frage: Willst du öffentlich reden?
Öffentlich in diesem praktischen Sinne bedeutet: vor einem Publikum, das mit einer bestimmten Rollenerwartung zuhören wird. (Sie geben dir die Rolle einer Lehrerin, eines Firmensprechers, einer Gemeindepräsidentin usw.)
Die zweite Frage: Welches Redeziel hast du?
Wenn du dich für eine „öffentliche“ Rede entschlossen hast (und in unserem Sinne kann das auch ein Auftritt vor fünf Mitarbeitern in der Werkstatt sein), ist die nächste Frage:
Willst du primär informieren, berichten, belehren, erzählen – also Grundlagen für weitere Erkenntnisse vermitteln?
Oder willst du primär überzeugen – also deine Meinung gegen andere Meinungen vertreten?
(Weitere Redeziele lassen wir dabei außer Acht. Das wären zum Beispiel das Feiern eines Rituals, das Beglückwünschen einer Persönlichkeit usw.)
Die dritte Frage: Wie kommen wir ins Gespräch?
Wenn du eine Überzeugungsrede halten willst, dann bist du bei einem Trainer gut aufgehoben, der verspricht, dir die Geheimnisse von Steve Jobs, Barack Obama, Joschka Fischer, Christoph Blocher oder ähnlichen Helden zu verraten. Sie werden dir Maßstäbe vorsetzen, die für Menschen gelten, die sich ihr Leben lang solche Reden auf den Leib schneidern ließen und die du nie kopieren kannst (falls du das wirklich für erstrebenswert hältst).
Sie werden dir vorgaukeln, dass du lernen sollst, vor den Leuten zu brillieren und sie mit einer geschliffenen Rede auf deine Seite zu ziehen. Viel Glück dabei!
Wenn du aber wie viele andere primär Informationsreden halten musst, dann kannst du viel Ballast abwerfen. Denn dann stehst du nicht mehr vor einer passiven Masse, die dir zujubeln soll, sondern du hast es mit Menschen zu tun, die mitdenken und mitreden sollen.
Deine Rede ist dann nur ein Glied in einer Kette von Reden, ein einzelner, aber wichtiger Beitrag in einem Diskurs, an dem auch andere teilnehmen.
Dein Ansatz ist dann nicht die Überredungskunst, sondern der Dialog.
Jetzt ist die Frage nicht mehr: Wie ziehe ich die Leute auf meine Seite? Sondern: Wie komme ich mit ihnen ins Gespräch?
Vielleicht ist das, was dir die Leute während deiner Rede zurufen, wichtiger, als was du sagst. Vielleicht beginnen die guten Erkenntnisse erst, wenn dein Auftritt zu Ende ist und die Gespräche in kleinen Gruppen weitergehen.
Auf jeden Fall wird das aber deinen Erfolgsdruck mindern. Denn die Leistung werdet ihr gemeinsam erbringen, du und dein Publikum.