Unruhe im Saal – katastrophal?

Oft fühlst du dich durch Unruhe im Saal gestört: Leute schwatzen oder jemand beschäftigt sich deutlich mit anderen Dingen. Aber Störungen im Vortrag sind keine Katastrophe. Wenn du dir einige Dinge vorher überlegt hast, geht alles leichter.

Der Dozent interveniert

Donald Sadoway unterrichtet am MIT ein Fach namens Festkörperchemie. Seine Einführungsvorlesungen werden im Internet hunderttausendfach angeklickt. Er hat die Gabe, anspruchsvolle Themen anschaulich zu machen, so dass zumindest der Einstieg leicht fällt.

Aber er hat auch etwas gegen Störungen. Am Anfang der Vorlesung Nummer 7 (knapp eine Minute nach Beginn der Aufzeichnung) unterbricht er sich plötzlich.

Er will gerade an der vorangegangenen Vorlesung anknüpfen und wendet den meisten Studierenden den Rücken zu, weil die Stichworte an der Wandtafel stehen, zum Beispiel das Stichwort „Aufbau Principle“. Er sagt:

Letztes Mal hatten wir eine Vorlesung über das Aufbauprinzip. Und das Aufbauprinzip gab uns die äh… äh…

Da stockt er und dreht sich um:

Hier wird immer noch zu viel geschwatzt! Immer noch zu viel geschwatzt! Ich toleriere null – null! – Geschwätz! („I will tolerate zero – zero! – talking.“)

Und dann beginnt eine Predigt für Erstsemestrige über seine Vorstellung von Disziplin.

Die Intervention im Wortlaut

Das sind die Hauptaussagen:

  • Wir sind eine Art Vertrag eingegangen.  
  • Dieser Vertrag verpflichtet mich dazu, mich vorzubereiten, mich anständig zu benehmen usw.
  • Der Vertrag verpflichtet auch euch dazu, euch vorzubereiten und ruhig dazusitzen.
  • Denn meine Aufgabe ist es, fruchtbare Lernbedingungen zu schaffen.
  • Und wenn ihr den Nachbarn am Lernen hindert, schreite ich ein.

Im Original lautet das so:

There’s still too much talking. Still too much talking. I will tolerate zero – zero talking! When you walk through that door it (I assume it’s an act of free will) and when you walk through that door we enter into a contract. The contract goes something like this:

You have certain expectations of me. You expect me to come to class prepared, you expect me to treat you with respect, not to use vulgar language, not to say things that are insulting, insensitive.
And I have certain expectations of you. I expect you to come to class prepared, I expect that you have done the reading, and I expect that you are gonna sit quietly. Absolutely quietly. Because it’s my duty to preserve a fertile learning environment. If you don’t wanna learn – (whispering:) I don’t care. I don’t care. But if you impair the ability of your neighbour to learn, I will take action. (Whispering:) It’s very simple. Very simple. – – – Where was I? – I think I was talking about (takes a sip from a can) – – the Aufbau principle. And the Aufbau principle tells us …

Dieses kurze Zwischenspiel kann man ähnlich bei vielen Dozenten und Referenten beobachten, zum Beispiel bei der Soziologin Ann Swidler (bei ca. 01.30)

Ein immer gleiches Muster

Das Muster sieht so aus: Sie empfinden etwas als Störung. Sie halten inne und thematisieren es. Dann kommentieren sie es mit einem Appell und einer Drohung:

  1. Appell an die Solidarität mit den anderen Zuhörern und dem Dozenten
  2. Drohung mit einer Reaktion des Dozenten („I will take action“).

Gewöhnlich sitzen dann die Studierenden wie vom Donner gerührt da und trauen sich (zumindest während der nächsten Minuten) nicht, sich irgendwie bemerkbar zu machen.

Überzeugend?

Für mich ist es völlig natürlich, sich auf den gemeinsamen „Vertrag“ zu berufen: Wir alle wollen dasselbe; deshalb müsst ihr euren Teil dazu beitragen. Deshalb der Appell an die Solidarität. Aber diese Gemeinsamkeit wird im zweiten Schritt gleich wieder aufgehoben. Der Dozent ist nicht nur der Vertragspartner, sondern gleichzeitig auch der Richter und die bestrafende Instanz. Das ist ein Appell an die eigene Macht, die zuvor so nett relativiert wurde.

(Humoristisch dokumentiert dies Norman Fickel, Mathematiker an der Universität Erlangen-Nürnberg. Dieser kurze Vorlesungsmitschnitt wurde auf YouTube bisher über drei Millionen Mal angeklickt.)

Die Studierenden merken das und merken sich eher die Machtdemonstration als den Appell an die Solidarität.

Wie mit Störungen umgehen?

Also: Du stehst vor deinem Publikum und hältst deinen Vortrag. Irgendetwas geschieht, das nicht dazu gehört, zum Beispiel:

  1. Zwei Leute in Reihe fünf führen ein lebhaftes Gespräch.
  2. Es gibt mehrere Unruheherde; d.h., an verschiedenen Orten im Saal sprechen Leute miteinander.
  3. Eine größere Anzahl von Zuhörern hat Trinkflaschen mitgebracht und führt sie immer wieder zum Mund.
  4. Eine einzelne Person kommt zehn Minuten zu spät und begibt sich in aller Gemütsruhe zu einem möglichst entfernten Sitzplatz.
  5. Eine Person erhebt sich mitten im Vortrag und geht zum Ausgang.
  6. Ein Viertel der Anwesenden ist intensiv mit dem Smartphone beschäftigt.
  7. Eine Zuhörerin weist dich darauf hin, dass du die vorgesehene Zeit überschritten hast.
  8. Teilnehmer der nächsten Veranstaltung kommen bereits zur Tür herein und beginnen sich einen Platz zu suchen.

Du empfindest das als Störung. Das heißt: Es lenkt dich von deiner Präsentationstätigkeit ab. Was sollst du tun?

Frage 1: Wer wird gestört?

Der erste Schritt besteht in einem kurzen Innehalten und der einfachen Frage: Wird hier wirklich die gemeinsame Arbeit beeinträchtigt? Oder bin ich der Einzige, den das gerade irritiert? Mit anderen Worten: Wer wird gestört – alle, einzelne oder ich allein?

Oft bist nur du es, der Vortragende. Nicht, dass das nicht relevant wäre. Aber du wirst dann anders vorgehen, als wenn es ein Vorfall wäre, der alle betrifft.

Frage 2: Hat es mit mir zu tun?

Oft hat es nichts mit dir zu tun. Es gibt einen Dozenten, der seinen Studentinnen und Studenten dafür rügt, dass sie Trinkflaschen mitbringen. Er erlaubt ihnen nur Wassergläser, die sie bitteschön vorher füllen sollen. – Das ist mühsam. Er muss es jedes Semester neu bekanntgeben. Und es ist niemandem klar, warum ein Brauch, der in allen anderen Lehrveranstaltungen toleriert wird, hier verboten werden muss. Natürlich führt die Trinkflasche zu etwas demonstrativeren Gesten. Aber ich würde dem Kollegen empfehlen, sich zu sagen: Das hat nichts mit mir zu tun. Es stört das gemeinsame Nachdenken und Verstehen nicht. Also ignoriere ich es.

Ähnlich bei einzelnen Zeichen der geistigen Abwesenheit. Wenn ein Vortrag 45, 60 oder gar 90 Minuten dauert, ist es völlig verständlich, dass jeder mal eine Konzentrationsschwäche hat. Dass er sich dann ausklinkt und in sein Smartphone oder seine Zeitschrift oder aus dem Fenster sieht, ist keine Rückmeldung für den Dozenten („Du langweilst mich“), sondern ein normaler Vorgang. Also ignoriere es.

Frage 3: Muss das jetzt behandelt werden?

Eine Störung kann vorübergehen, ohne dass man sie thematisiert. Wenn z.B. eine größere Anzahl von Zuhörern unruhig geworden ist, kann man einfach mal kurz innehalten und eine halbe Minute warten, bis alle merken, dass der Redner gar nicht mehr spricht. Dann ist es ruhig. Und je nachdem, wie man die Situation einschätzt, lässt sich entsprechend reagieren:

  • einfach weiterfahren
  • eine Pause von fünf Minuten vorschlagen
  • fragen, was vorliegt
  • methodisch anders weiterfahren (z.B. mit einer Erzählung, einer Umfrage unter den Anwesenden, einer Gruppendiskussion usw.)

Das enthält noch keine verbale Kritik am Verhalten der Zuhörenden. Es ist einfach ein Versuch, alle wieder ins Boot zu holen. Aber die Unterbrechung ermöglicht auch eventuelle Wortmeldungen, die zeigen, was der Grund für die Unruhe war. Vielleicht ist es ein Zeichen für eine Überforderung eines Großteils des Publikums. Das führt dazu, dass etwas nochmals erklärt wird. Man behandelt die Ursache und nicht das dadurch ausgelöste Verhalten.

Frage 4: Was sagt mir die Störung?

Die vorherige Frage (Muss das jetzt behandelt werden?) hat bereits gezeigt: Die Störung kann ein Feedback sein. Wenn man sie thematisiert (aber wie gesagt: das muss nicht immer sein), wird deutlich, was im bisherigen Ablauf dazu geführt hat. Das bietet die Gelegenheit, etwas zu ändern:

  • das Tempo (kürzere Sätze, längere Pausen)
  • die Abstraktionsebene (mit einem Beispiel illustrieren, was theoretisch gesagt wurde)
  • die Interaktionsform (z.B. mehr Fragen und Antworten)

Vortragen ist eine gemeinsame Tätigkeit

Ein Vortrag ist ein Prozess, an dem sich Redner/in und ZuhörerInnen beteiligen. Wem es gelingt, dies von Anfang an zu kommunizieren (und wer sich auch selbst daran hält), der wird sich weniger schnell gestört fühlen und echte Störungen gemeinsam mit dem Publikum behandeln.