Rhetorik-Training ist anders

Fragt mich doch Oliver Schroeder im Interview, ob sich der Rhetorik-Unterricht seit Aristoteles und Co. (384-322 v. Chr.) grundlegend geändert habe. Klar hat er sich.

Aristoteles nahm vieles für selbstverständlich, das wir uns zuerst erarbeiten müssen, zum Beispiel die Tatsache, dass du dich plötzlich vor einem Publikum findest. Aristoteles ist der Theoretiker der Beredsamkeit und fängt da an, wo es darum geht, „ein Argument zu prüfen bzw. zu stützen sowie sich zu verteidigen oder anzuklagen“ (1. Kapitel in der Übersetzung von Franz G. Sieveke).

Der Inhalt kommt erst im zweiten Schritt

In einem heutigen praktischen Rhetorikkurs fange ich nicht mit dem Inhalt an, sondern damit, was es heißt, vor einem Publikum zu reden. Ich wende mich an Menschen, denen das einfache Gespräch im Alltag leichtfällt, die aber einen riesigen Unterschied spüren, wenn sie vor Publikum reden müssen.

Der wichtige Unterschied ist zunächst einmal räumlich. Ich bin weiter weg von den Leuten. Also muss ich mit dem Raum, in dem wir uns befinden, zurechtkommen. Ich muss mit meine ZuhörerInnen erreichen, obwohl die räumlichen Bedingungen das erschweren. Gleichzeitig bin ich für das Zeitmanagement verantwortlich. In einem privaten Gespräch ist das eine Sache aller Beteiligten; in einer Rede muss ich als Redner mich an Zeitvorgaben zu halten. Das kann mich unter Druck setzen und dazu führen, dass ich das Tempo steigere und die Pausen vernachlässige und dabei nicht auf das Publikum achte.

Dies alles kommt lange vor der Formulierung und der Argumentation, der Präsentation des Inhalts.

Das Schöne ist: Auch wer kein besonders geschickter Redner ist, hat den Inhalt ja präsent. Er tritt nur auf, weil er in der Sache kompetent ist und sich vorbereitet hat. Erst dann macht der Rückgriff auf alte rhetorische Regeln einen Sinn.

Was du zu sagen hast, kommt erst rüber, wenn man eine Beziehung zum Publikum aufbauen kann. Und da musst du anfangen. Dich hinstellen. Die Leute wahrnehmen. Ihnen die Chance geben, auch dich wahrzunehmen. Das ist eine Frage des Sich-Zeit-Lassens, der Körpersprache, des Blicks und eines Tempos, das überhaupt die Möglichkeit schafft, dass man gemeinsam denkt und gemeinsam weiterkommt.