Menschen, denen das Reden schwerfiel, Teil 1: Hermann Minkowski

Wer vor Publikum reden soll, muss eine Schwelle überwinden: Der Raum weitet sich. Die Zuhörenden sind in Überzahl. Die Zeit ist begrenzt. Es wird Öffentlichkeit hergestellt. Die sprachliche Form, die erwartet wird, unterscheidet sich drastisch von der sonst  gewohnten Form.

Kein Wunder, dass diese Art des Redens vielen Menschen schwerfällt. Aber es kann wohltun, von anderen zu erfahren, dass es ihnen auch so geht – auch von erfolgreichen Politikern (wie Johannes Rau), Wissenschaftlerinnen (wie Marie Curie) oder Künstlern (wie Loriot).

Und solche Biografien zu studieren, kann dabei helfen, den Fokus zu verstellen. Für die allermeisten von uns gilt: Nicht die brillante Darbietung ist das Wichtige, sondern der Inhalt. Und wir werden gebeten, vor anderen zu reden, weil wir für eine Sache kompetent sind. Wir müssen in den meisten Fällen keinen Wahlkampf gewinnen und keinen Saal zur Ekstase bringen. Wir müssen ganz einfach das präsentieren, woran wir lange genug gearbeitet haben, um es auch überzeugend vortragen zu können.

Hermann Minkowski, der Mathematiker und Physiker, war vor Publikum – auch vor den jungen Studenten, die ihn verehrten – so sehr befangen, dass er oft ins Stottern kam. Aber dann kam er als Professor nach Göttingen, und traf auf ein Publikum, das in der Lage war, ihn und seine Botschaft warzunehmen.

Die Autorin Constance Reid beschreibt es so:

Die Studierenden erkannten sofort, dass sie das Vorrecht hatten, einen „wahren mathematischen Dichter“ zu hören. Ihnen schien es, als ob jeder Satz, den er sprach, zum Leben erwachen würde, indem er ihn sprach. (Reid 1996, 92)

Um dies zu erreichen, braucht es zwei: Ein Publikum, das bereit ist, mitzudenken, und einen Redner, der weiß, dass das seine Rede letztlich ein Gemeinschaftswerk ist – ein Werk von Publikum und RednerIn.

Wer die Schwelle mit dieser Einstellung überschreitet, lässt sich mehr Zeit, um auf die Zuhörenden einzugehen. Er oder sie formuliert adressatengerechter, um verstanden zu werden. Und verabschiedet sich von der Vorstellung, perfekt sein zu müssen, zugunsten der Vorstellung, ein fruchtbares Gespräch anzustoßen.

Wie du dein Seminar ohne Aufwand optimierst: Einige „Don’ts“ und „Dos“

Tu folgende Dinge, und du bringst dein Seminar echt in Gefahr:

Fang ohne Vororientierung an! – Ignoriere Motivation und Vorwissen der Teilnehmer! – Benutze Kernbegriffe, ohne sie zu definieren! – Erzähle von deinem unermüdlichen Kampf für das Gute! – Mach deine Konkurrenten schlecht! – Setze Pausen an, die nicht ausreichen, um aufs Klo zu gehen! – Rede, rede, rede und verzichte darauf, die Leute zu beteiligen! – Führe Zweiergespräche mit einzelnen Teilnehmern! – Lass dich zu Diskussionen über Nebensachen verleiten! – Mach den Abschluss ohne Rückblick und Feedback!

Oder positiv gewendet: Beherzige die folgenden Regeln

Hier dieselben Regeln nochmals, aber ausführlicher und positiv formuliert.

Ausgangspunkt: Beobachtungen bei einem Seminar von 2 Tagen.
Publikum: Knapp 50 Personen mit einer gewissen Vorbildung. Sie sind zum Teil von weit her gefahren und kennen einander zum Teil.
Ort: Saal in einer ländlichen Wirtschaft. Die TeilnehmerInnen sitzen an vier Tischen parallel aufgestellten Tischen. Für den Seminarleiter ist an der Stirnseite ein Tisch quergestellt. Darüber an der Wand eine Leinwand, an der Decke ein Beamer.

1. An den Beginn gehört eine Vororientierung

Die SeminarteilnehmerInnen brauchen eine Struktur, an der sie sich in den folgenden Tagen orientieren können. Die ist im besten Fall verbal und visuell. Verbal ist es eine kurze Information über Zweck und Ablauf. Visuell ist es ein Programm, das sie vor sich auf dem Tisch oder auf einer Tafel an der Wand haben – irgendwie: Nicht das Medium ist entscheidend, sondern die Verfügbarkeit. Als Teilnehmer will ich jederzeit sehen können, wo wir uns befinden und wie lange es noch gehen wird.

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Der mühsame Weg zum Charisma

„Tatsächlich übersieht Kurz keinen, nicht die Parteiprominenz, nicht die Wirtschaftsvertreter, nicht die Garderobenfrau.“

Das notiert Peter Münch in der Süddeutschen Zeitung über den Österreichischen Alt-Kanzler Sebastian Kurz. Er ist ihm zu einer Wahlkampfveranstaltung ins Burgenland gefolgt, in die Stadt Oberwart. Und sein Text beschreibt detailreich und unterhaltsam die Situation der ÖVP und ihres Spitzenkandidaten kurz vor der Nationalratswahl vom 29. September.

Das Kommunikationstalent des 33-Jährigen wird greifbar. Bemerkenswert: Anders als andere Autoren bemüht Münch nicht ein Mal den Begriff „Charisma“. Dafür beschreibt er treffend, was einen angeblichen Charismatiker auszeichnet:

„Ein großer Teil seines Erfolgs rührt daher, dass er jedem, dem er begegnet, das Gefühl gibt, er ist ganz bei ihm, oder ihr, auch wenn er nach zehn Sekunden schon wieder weg ist.

Charisma als Ausstrahlung

Der landläufige Charisma-Begriff meint ja nicht die Gnadengabe aus der Bibel oder den Herrschaftstyp, den Max Weber beschrieben hat. Wer heute einem Politiker Charisma zuschreibt, spekuliert über dessen Wirkung. Eine Rednerin oder ein Redner (und es sind meistens männliche Figuren, die damit bedacht werden) wird als charismatisch bezeichnet, weil er oder sie die Menschen als Persönlichkeit beeindruckt. Fast austauschbar damit sind Begriffe wie „Ausstrahlung“ oder „Authentizität“, auch wenn die ursprünglich eine ganz andere Bedeutung haben. Weiterlesen

Konstruktive Rhetorik: Vom Vortrag zum Dialog

Es geht nicht darum, vor dem Publikum zu brillieren. Es geht darum, mit ihm in den Dialog zu treten. Das macht die Sache leichter – für Redner/in und Publikum.

Die Kunst, gut zu reden (ars bene dicendi): Das ist die klassische Definition von Rhetorik. Die Rhetorik als wissenschaftliche Disziplin untersucht gleichermaßen Parlamentsreden und psychologische Beratungsgespräche, Seminarvorträge und Mobbingtaktiken. Für die Praxis ist das nicht sehr hilfreich. Denn für das Reden vor Publikum braucht es ganz andere Fähigkeiten als für das Gespräch im Alltag.

Vor einem Publikum sind die Rahmenbedingungen anders

Den meisten Menschen fällt das öffentliche Reden, auch vor einer kleinen Gruppe, schwerer als das private Gespräch. Das gilt auch für erfolgverwöhnte „Macherinnen“ und „Macher“. (Vgl. z.B. die Geschichte von Henry Ford.) Weiterlesen

Unruhe im Saal – katastrophal?

Oft fühlst du dich durch Unruhe im Saal gestört: Leute schwatzen oder jemand beschäftigt sich deutlich mit anderen Dingen. Aber Störungen im Vortrag sind keine Katastrophe. Wenn du dir einige Dinge vorher überlegt hast, geht alles leichter.

Der Dozent interveniert

Donald Sadoway unterrichtet am MIT ein Fach namens Festkörperchemie. Seine Einführungsvorlesungen werden im Internet hunderttausendfach angeklickt. Er hat die Gabe, anspruchsvolle Themen anschaulich zu machen, so dass zumindest der Einstieg leicht fällt.

Aber er hat auch etwas gegen Störungen. Am Anfang der Vorlesung Nummer 7 (knapp eine Minute nach Beginn der Aufzeichnung) unterbricht er sich plötzlich. Weiterlesen

Henry Ford patzt

Dem Publikum gerecht werden – das geht nur, wenn man es ernst nimmt.

Henry Ford, der den Mittelklasse-Amerikanern ein erschwingliches Auto, Zehntausenden Arbeitern eine Anstellung und Millionen den Traum des America first näher gebracht hatte, war 1923, also knapp 90 Jahre vor dem politischen Abenteuer Donald Trumps, der beliebteste Name für die Präsidentschaftswahlen des Jahres 1924. Er galt zwar in Politikerkreisen als wenig geeignet für das Amt, das er ähnlich wie seine Unternehmen zu führen gedachte. Aber aus heutiger Sicht wäre er mit seinen liberalen Ansichten (von Frauenrechten über die Gleichstellung von Schwarzen zum Pazifismus und zur Bekämpfung der Todesstrafe) eine Bereicherung für den Wahlkampf gewesen.

Wenn da nicht das Problem gewesen wäre, dass Wahlkampf vor allem Reden bedeutete. Weiterlesen

Ein konsequenter Aufbau macht den Text lesbar

Manchmal sitzt man vor seiner Zeitung, trinkt einen Kaffee und ertappt sich plötzlich dabei, dass man einen Text von A bis Z gelesen hat. In solchen Fällen lohnt es sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Warum bleibe ich dran, wenn sich einer mit 10.000 Zeichen mit der Lage der deutschen Wirtschaft auseinander setzt?

Es hängt natürlich mit der Sachkompetenz des Autors und mit all den Fakten zusammen, die er auf den Tisch legt. Aber wer sich für das journalistische Handwerk interessiert, wird auch eine Erklärung in der sprachlichen Präsentation suchen.

Wie man 10.000 Zeichen bändigt

Philip Oltermann schreibt für The Guardian und The Observer. Von ihm ist das Buch Keeping Up With the Germans: A History of Anglo-German Encounters (London: Faber and Faber, 2013 – deutsch auf Anhieb nicht wieder zu erkennen dank dem Titel: Dichter und Denker, Spinner und Banker: Eine deutsch-englische Beziehungsgeschichte. Reinbek: Rowohlt, 2013). Er hat im Übrigen auch die Guardian-Artikelserie How to Write herausgegeben.

Im Observer vom 19. Oktober 2014 hat er besagten 10.000-Zeichen-Artikel geschrieben mit dem Titel:

As cracks in its economy widen, is Germany’s miracle about to fade?

Hauptaussage dieses aufwühlenden Textes: Noch vor kurzem wurde Deutschland für deine Fähigkeit gepriesen, der Krise zu widerstehen, die praktisch ganz Europa erfasst hat. Aber jetzt werden die Risse in der deutschen Wirtschaft immer weiter.

Und so ist der Text aufgebaut

Der Text beginnt mit einer Nahaufnahme: Der Autor berichtet von der Loschwitzer Brücke in Dresden, besser bekannt unter dem Namen Das Blaue Wunder.

Es ist ein Glanzstück der Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts. Aber die Brücke verrostet und müsste dringend saniert werden – wenn es denn finanziell machbar wäre:

Locals call the cantilever truss bridge that connects the Dresden suburbs of Blasewitz and Loschwitz the “blue miracle”. Built in 1893 without the support of river piers, it is the kind of German engineering tour de force that could rightly claim a place in the British Museum’s current Memories of a Nation exhibition, were it not impossible to transport. However, in recent years the blue miracle has lost some its sheen…

Das Beispiel führt nahtlos zu den Finanzproblemen der Stadt Dresden, die nicht nur mit den Problemen dieser einen Brücke zu kämpfen hat:

Dresden city council is aware of the problem, but it is under financial pressure. Twenty-one million euros are being spent on overhauling the Albert bridge in the city centre, which was crumbling away so badly that bits of concrete were falling on the heads of cyclists passing underneath. The Augustus bridge, the jewel in Dresden’s eight- bridge crown, will have to come next after it was damaged by floods last year…

Im nächsten Abschnitt sehen wir über Dresden hinaus auf ganz Deutschland und den Zustand seiner Brücken und Autostraßen:

Crumbling bridges and potholed roads are a politically sensitive issue in Germany these days. Forty per cent of all bridges and a fifth of the motorway network are said to be in a “critical state”, causing traffic jams and delays up and down the country. Worse still, a growing choir of economists and politicians warn that such cracks in the country’s infrastructure are only the beginning of a much bigger problem. Germany, Europe’s model austerian, they say, is saving itself to death…

Und hier, beim letzten Satz dieses Abschnitts, sind wir sehr elegant zur zentralen Aussage gekommen: Deutschland steckt in Schwierigkeiten, und diese hängen mit seiner scheinbaren Stärke zusammen. Experten werden zitiert, die eine typisch deutsche Schwäche anprangern: die Sparsamkeit, wenn es darum geht, in die Infrastruktur zu investieren.

Dann wird das Thema noch einmal ausgeweitet:

But at least potholes can be spotted and filled. Missed investment in education, research and industry, on the other hand, might only be felt once it is too late…

Die mangelnden Investitionen in Bildung, Forschung und Industrie werden mit Zitaten und Zahlen belegt. Dies mündet in die Frage, wie nützlich eine „schwarze Null“ ist, Finanzminister Schäubles Haushaltsplan für 2015, in dem keine neue Verschuldung eingeplant ist.

Der Rest des Artikels ist der Diskussion dieses Themas gewidmet – nicht ohne den Rückverweis auf das zum Symbol aufgebauten Blauen Wunder:

But in October 2014 it is the pessimists who are setting the tone: the German economy is looking about as rusty as the blue miracle in Dresden…

Das letzte Wort hat ein Autor, der in die Zukunft blickt. Olaf Gersemann verweist auf die demographische Entwicklung und zeichnet ein trübes Bild:

“We’ve been talking about the pending demographic crisis for years, but we’ll only start to feel its impact in the next few years,” said Gersemann. “The baby boomer generation of the 50s and 60s will slowly start to disappear from the labour market. Total hours’ work will start to fall within a couple of years, depressing Germany’s growth potential.

Germany in 10 years’ time will feel so different that we will look back on today as the good old days.”

Was mich an dem Text beeindruckt, ist, wie konsequent er den Blick weitet. Er tut dies in nachvollziehbaren Schritten, ohne zu große Sprünge. Das Anfangsbeispiel, die Dresdner Brücke, bleibt immer in Erinnerung, weil es für die ganze Problematik stehen kann. Der Text liest sich flüssig, obwohl er auf viele weitere Nahaufnahmen verzichtet. Er ist linear aufgebaut. Er führt den Leser, bis er einen Überblick hat. Mehr braucht es nicht.

 

 

Storytelling, Teil 8: Der erzählerische Einstieg

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Storytelling, Teil 5: Andere erzählen lassen („Storydoing“)

Wenn ich meine Marke aufbauen wollte, würde ich nicht meine Geschichte, sondern die Geschichte von anderen erzählen. Ich würde dafür sorgen, dass sich alle, die meine Marke erreichen soll, als Teil meiner Geschichte verstehen. So dass dann die anderen meine Geschichte erzählen (virales Marketing).

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Storytelling, Teil 4: Vom Argumentieren zum Erzählen

Erzählen kann verschiedene Funktionen haben. Hier sollen einfache Beispiele aus der Werbung zeigen, wie sich das Erzählen allmählich selbständig gemacht hat.

Beginnen müssen wir bei der klassischen Vorstellung des Argumentierens. Die Annahme ist: Ein Produkt soll gekauft werden. Der Kunde wird mit einer Mini-Überzeugungsrede konfrontiert. Das einfachste Modell besteht aus einer Aussage, die mit einer Argumentation gestützt wird.

In einem zweiten Schritt werden wir sehen, dass diese Argumentation auch durch eine Erzählung ersetzt werden kann. Die Erzählung, nicht eine rationale Überlegung, stützt die Aussage.

Im dritten Fall stützt die Erzählung nicht mehr direkt eine Aussage, sondern das Gesamtbild des Produkts bzw. der Marke.

Im vierten Fall werden Geschichten erzählt, die nicht mehr die Geschichte der Marke sind, sondern die nur noch lose – über die Werte, die sie verkörpert – mit der Marke verbunden sind.

Letztlich werden die Konsumenten Geschichten rund um die Marke erzählen, ohne dass sie von dieser initiiert worden sind. Vom Storytelling zum Storydoing.

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Storytelling, Teil 3: Werbung, Branding

In der Werbung kann Storytelling vom Produkt losgelöst sein. Das Ziel besteht darin, dass die in der Erzählung enthaltenen Werte auf das Produkt abstrahlen.

Einer der meistdiskutierten Werbefilme während der Superbowl-Übertragung 2014 zeigte eine Folge von Bildern vom schönen, glücklichen Freizeit-Amerika – von den wilden Bergen über die Wellen des Pazifiks bis zum Familienglück im Fast-Food-Lokal. Dazu wurde von Kinderstimmen America the Beautiful (Youtube) gesungen. Die Stimmen wechselten so ab, dass der englische Text ins Spanische und dann in weitere sieben Sprachen von ImmigrantInnen überging.

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Storytelling, Teil 2: Was bedeutet Erzählen?

„Erzählen“ hat im Deutschen mehrere Bedeutungen. Für die Diskussion über Storytelling ist es wichtig, die Begriffe zu klären und auseinanderzuhalten.

Erzählen ist eine der sprachlichen Handlungsformen, die man als Journalistin oder Journalist beherrscht. Wer erzählt, gibt die Entwicklung einer Geschichte von einem Anfangszustand zu einem Endzustand dar.

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Storytelling, Teil 1: Wichtig, aber im Journalismus sekundär

Man soll also Geschichten erzählen – möglichst überall und in jedem Zusammenhang.

Meine Meinung: Eine Geschichte zeigt einen Einzelfall. Das ist immer attraktiv. Aber in vielen Fällen (gerade im Journalismus) lenkt dies von den gut zu recherchierenden und allgemein gültigen Informationen ab.

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Charisma gibt es nicht

Warum ist das Thema „Charisma“ so faszinierend? Vielleicht wäre es besser, auf diesen Gummibegriff zu verzichten – zumindest in der Politik – oder ihn wenigstens zu klären, bevor man mit ihm um sich wirft.

Barack Obama wird zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt. Der Spiegel ruft an, die nächste Titelgeschichte soll zum Thema Charisma sein.
Baden-Württemberg wählt ein neues Parlament. Der SWR fragt an, ob ich ein Interview zum Thema Charisma gebe.
Bundeskanzlerin und Herausforderer debattieren im Fernsehen. Der BR will ein Gespräch zum Thema Charisma senden.

Es stellen sich immer wieder die gleichen Fragen:

  • Was ist Charisma?
  • Kann man Charisma inszenieren?
  • Wie inszeniert man Charisma?
  • Aber bei XY (Barack Obama/Willy Brandt/Lady Diana/Martin Luther King/dem Dalai Lama/Mutter Teresa…) war es doch echtes Charisma?

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Warum eigentlich Medien?

Abschiedsvorlesung an der Universität Tübingen
(2. Februar 2017)

Download als PDF:
Juerg Haeusermann Warum eigentlich Medien

1       Eine Zeitungsmeldung aus dem Jahr 1863

Vor einem guten Jahr saßen wir an der irischen Westküste zusammen mit einem Urenkel von Thomas Crosbie. Er erzählte uns die Geschichte von seinem Großvater, einem Pionier des modernen Journalismus.

Ausschnitt aus der New York Times vom 20. November 1863

Thomas Crosbie gab in Cork den Irish Examiner heraus, damals noch Cork Examiner. Crosbie hatte mit 15 Jahren angefangen, bei der Zeitung zu arbeiten. Und er hatte eine gute Reporternase.

Nun ist Cork nicht gerade der Nabel der Welt. Aber vor Cork lag einer der wichtigsten transatlantischen Häfen Irlands. Immer, wenn eines der großen Passagierschiffe aus Amerika im Hafen einlief, fuhr er ihm mit seinem kleinen Ruderboot entgegen. Und dann fragte er die Passagiere, die über die Reling hingen, nach frischen Nachrichten aus der Neuen Welt. Meist bekam er auch eine aktuelle Zeitung, d.h., eine, die aktuell gewesen war, als das Schiff in den USA ablegte, zwei Wochen zuvor.

Weil Schiffe aus Amerika die irische Westküste Stunden und Tage früher als andere europäische Häfen erreichten, hatte Crosbie einen Vorsprung auf alle anderen Nachrichtenredaktionen. Schon früh hatte er ein Abkommen mit der Londoner Times geschlossen, dass er ihr Neuigkeiten durchtelegrafierte.[1]

Am 2. Dezember 1863 bekam Crosbie ein Exemplar der New York Times in die Hand. Weiterlesen

Storytelling für Studierende der Medienwissenschaft (Script)

Hier finden Sie Vorlesungsskripte, die in den Storytelling-Seminaren der letzten Jahre entstanden sind. Sie wenden sich an Studierende der Medienwissenschaft. Im Gegensatz zu literaturwissenschaftlichen Ansätzen werden hier einfache Formen des Erzählens behandelt, die einem praktischen Zweck dienen, der über die Unterhaltung hinausgeht: Im Journalismus wird erzählt, um eine Aussage zu stützen; in der Werbung wird erzählt, um eine Stimmung zu erzielen; im Berufsleben wird erzählt, um Erfahrungen weiter zu geben, usw.

Der folgende Text ist in (meinem) Englisch verfasst. Er kann hier als PDF heruntergeladen werden:

Script Storytelling 2016 4th ed

Eine deutschsprachige Fassung wird gelegentlich folgen.

 

 

Radiotipps für die Woche vom 3. bis 9. Oktober 2016

Das Geschäft mit den Erlebnisgeschenken
Panzerfahren für Papi

Von Christoph Spittler

Montag, 03.10.2016, 10:05 Uhr, DLF

Im Supermarkt kann man alles kaufen. Seife, Butter, Bier und neuerdings auch: Erlebnisse. An der Kasse hängen sie, die Erlebnispakete von Dienstleistern wie Mydays, Jochen Schweizer oder Smartbox. Was sich die Anbieter unter Erlebnissen so vorstellen, ist selten besonders fantasievoll.

Ein Fallschirmsprung, ein Erotik-Fotoshooting, einen Tag lang Bodyguard sein, einen Song im Studio aufnehmen oder einmal Bagger fahren. Erlebnisse kaufen? Hat man die nicht von alleine? Ist das der Endpunkt der Kommerzialisierung, wenn Leben selbst, in leicht verdauliche Pakete konfektioniert, zur Ware gemacht wird? Welches Ideal von Leben steckt dahinter?

Das Leben als eine Aneinanderreihung von möglichst vielen schönen oder zumindest besonderen Erlebnissen, die man kaufen kann wie ein neues Handy oder ein paar Stiefel? Und was erlebt man eigentlich genau im gekauften Erlebnis? Der Soziologe Gerhard Schulze prägte 1992 das Schlagwort von der „Erlebnisgesellschaft“. Sind wir erst jetzt, im Zeitalter der konsumierbaren Erlebnispakete, richtig dort angekommen?

Kinderhochzeit
Wenn Minderjährige zur Ehe gezwungen werden

Von Katharina Nickoleit

Dienstag, 04.10.2016, 19:15 Uhr, DLF

Jedes Jahr werden 15 Millionen Mädchen unter 18 Jahren verheiratet. In Entwicklungsländern ist damit jedes dritte Mädchen betroffen, viele von ihnen sind sogar unter 15 Jahre alt. Diese Menschenrechtsverletzung kommt straffreiem Kindesmissbrauch gleich.

Verheiratete Mädchen, die etwa bei Geburten Leib und Leben riskieren, waren bislang nur aus dem fernen Ausland bekannt, zum Beispiel aus Nepal. Doch mit den Flüchtlingen gelangen Frühverheiratete auch nach Deutschland. In den Flüchtlingslagern rund um Syrien übergeben besonders viele Eltern ihre Töchter an ältere Ehemänner, in der Hoffnung, sie dadurch zu schützen.

In den Niederlanden sind Frühehen seit Anfang 2016 verboten, Deutschland hat bislang kein Konzept zum Umgang mit diesen minderjährigen Ehefrauen. Wie können sie wirksam geschützt werden?

Reihe: Geld und WutStart-up
Phasen einer Unternehmensgründung

Von Jean-Claude Kuner

Mittwoch 05.10.2106, 00:05 Uhr, DR Kultur

2009 wollen vier junge Programmierer mit ihrer Musik-Software „Bitwig“ ein Unternehmen gründen. Von der Geschäftswelt haben sie keine Ahnung, und schon bald kommt es zu unvorhergesehen Hürden.

Die Entwicklung dauert länger als geplant und das Geld droht auszugehen, während auf den internationalen Musikmessen bereits der Vertrieb angekurbelt wird. Auch privat gibt es Veränderungen. Vier Kinder werden geboren, und die finanzielle Zukunft ihrer Väter ist weiter ungewiss.

Hier kommt der Genuss!
Was hinter Aromen in unseren Lebensmitteln steckt

Von Hannelore Hippe

Mittwoch, 05.10.2106, 22:03 Uhr, SWR2

Die Produktion von Aromen ist ein unverzichtbarer Teil der Nahrungsmittelindustrie. Es handelt sich um eine sehr diskrete Branche, die von zahlreichen modernen Mythen umrankt ist: Erdbeerjoghurt aus sagenhaften Sägespänen oder das legendäre Trockenhuhn. Warum dürfen die Produzenten verheimlichen, was in ihren Aromen steckt und wollen wir Konsumenten es wirklich so genau wissen?
Die Autorin fragt Bundes- und EU Behörden, Experten und Kritiker, untersucht die Lobbyarbeit der Branche, trifft einen Flavoristen beim größten deutschen Aromaproduzenten und schaut einem echten Koch bei traditioneller Aromenherstellung über die Schulter.

Vier Schüsse in Missoula
Der Tod des Schülers Diren D.

Von Tom Schimmeck

Samstag, 08.10.2016, 13:05 Uhr, BR2, Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Am 27. April 2014 feuert Markus K., 29, aus Missoula, Montana, in seiner Garage vier Schüsse auf den 17-jährigen Diren D. aus Hamburg. Der Schütze hatte auf der Lauer gelegen. Er war sehr wütend. Stellte eine Falle. Er wollte die Räuber schnappen, die ihn Tage zuvor bestohlen hatten. Diren D. stirbt in der Garage von Markus K. „Deutscher Austauschschüler in den USA erschossen“ titeln die Zeitungen. Typisch Amerika? Manches ist typisch: Montanas schießfreudige Gesetze, die Waffenkultur. Die Stadt Missoula aber schämt sich zutiefst. Nachbarn und Mitschüler trauern, organisieren Mahnwachen. Rufen: „Das sind nicht wir!“ Eine Jury verurteilt Markus K. wegen vorsätzlichen Mordes. Der Richter verhängt 70 Jahre Haft.
Tom Schimmeck, 27.10.1959 in Hamburg geboren, arbeitet als freier Feature-Autor für den NDR, DLF u. a. und schreibt für verschiedene deutsche Tages-und Wochenzeitungen. Zuletzt wurde er für sein Feature „Koma-Kicks – Erkundungen unter jungen Kampftrinkern“ (NDR 2008) mit dem Deutschen Sozialpreis 2009 ausgezeichnet. Mit „Spin – Oder: Die Industrialisierung der Meinungsproduktion“ war er 2010 für den Prix Italia nominiert. Im selben Jahr erschien sein Buch „Am besten nichts Neues“.

Der Krieg im Fokus
Die Fotografin Herlinde Koelbl spricht mit Soldaten über das Handwerk des Tötens

Von Heike Tauch

Samstag, 08.10.2016, 18:05 Uhr, DR Kultur

Über sechs Jahre reiste die Fotografin Herlinde Koelbl in fast 30 Länder, um an militärischen Ausbildungsorten landestypische Schießziele zu dokumentieren. Aus diesen fotografischen Aufnahmen entstand ihr Kunstprojekt TARGETS.

Darüber hinaus sprach Koelbl mit Soldaten und Scharfschützen. Unter Zusicherung der Anonymität erzählen sie von den moralischen Herausforderungen, von ihrer Motivation und Ausbildung, von Führung und Gehorsam, von Schuld und Fehlentscheidungen. Und immer fragt Herlinde Koelbl nach dem ersten Schuss: „Wie war es, als Sie das erste Mal auf einen Menschen zielten und abdrückten? Können Sie sich daran erinnern?“

Überdies berichtet die Fotografin, was sie bewegte, sich dem Thema und damit den Menschen zu nähern, die trainieren, gut zu schießen, um den Feind zu töten.

Irtijal heißt Improvisation
Die Erfindung des Free Jazz im Libanon

Von Tobias Lehmkuhl

Sonntag, 09.10.2016, 14:05 Uhr, SWR2

Beirut ist eine Stadt, wie es Berlin einmal war: Vom Krieg versehrt, von Narben überzogen. Dennoch hält die Aufbruchstimmung nach Ende des Bürgerkriegs ebenso an wie die Bauwut. Beirut ist laut. Der Lärm von Hupen und Presslufthämmern ertönt aller Orten. Und wenn man den Trompeter Mazen Kerbaj hört, meint man in seinem Spiel noch das Echo von Maschinengewehrsalven und Granateinschlägen zu vernehmen. Im Jahr 2000 gründete Kerbaj mit Freunden das erste und bislang einzige Festival für improvisierte Musik im Nahen Osten: „Irtijal“. Zur 16. Ausgabe waren in diesem Jahr auch zahlreiche deutsche Musiker angereist. Keine zwei Stunden Autofahrt vom syrischen Bürgerkrieg entfernt traten sie in einen musikalischen Dialog mit den Musikern vor Ort – und mit den Klängen der Stadt.