Storytelling, Teil 4: Vom Argumentieren zum Erzählen

Erzählen kann verschiedene Funktionen haben. Hier sollen einfache Beispiele aus der Werbung zeigen, wie sich das Erzählen allmählich selbständig gemacht hat.

Beginnen müssen wir bei der klassischen Vorstellung des Argumentierens. Die Annahme ist: Ein Produkt soll gekauft werden. Der Kunde wird mit einer Mini-Überzeugungsrede konfrontiert. Das einfachste Modell besteht aus einer Aussage, die mit einer Argumentation gestützt wird.

In einem zweiten Schritt werden wir sehen, dass diese Argumentation auch durch eine Erzählung ersetzt werden kann. Die Erzählung, nicht eine rationale Überlegung, stützt die Aussage.

Im dritten Fall stützt die Erzählung nicht mehr direkt eine Aussage, sondern das Gesamtbild des Produkts bzw. der Marke.

Im vierten Fall werden Geschichten erzählt, die nicht mehr die Geschichte der Marke sind, sondern die nur noch lose – über die Werte, die sie verkörpert – mit der Marke verbunden sind.

Letztlich werden die Konsumenten Geschichten rund um die Marke erzählen, ohne dass sie von dieser initiiert worden sind. Vom Storytelling zum Storydoing.

1. Ein Argument stützt eine Aussage

Guinness is good for you ist eine Aussage (zu Deutsch: Guinness ist gesund.)

Gives you strength ist eine zweite Aussage (zu Deutsch: [G.] verleiht Kraft.) Im Originalplakat steht sie direkt hinter der ersten. Aussage. Sie stützt sie. Also: Guinness ist gesund, weil es Kraft verleiht.

Eine Aussage, die eine andere stützt, nennt man Argument.

(Klassische rationale Argumentation benötigt eine weitere Aussage, eine sog. Argumentregel. Sie schafft die Verbindung zwischen den beiden anderen Aussagen, der These und dem Argumentsatz. Hier wäre es die Argumentregel:
Alles, was dir Kraft verleiht, ist gesund.
In der alltäglichen Argumentation lässt man die Argumentregel aber oft weg, weil sie als bekannt und akzeptiert vorausgesetzt wird.)

2. Auch eine Geschichte kann eine Aussage stützen

Auch der Satz: Ich erlebe die Freiheit in diesem Auto ist eine Aussage. Sie stammt aus einem Werbespot für Mercedes. (Youtube) Resa Safari, ein Taxiunternehmer aus Hamburg sagt es über seinen Mercedes E 350. Um es zu begründen, erzählt er:

„Deswegen – viele haben gedacht, ich wäre ein Schauspieler. Wie kann es denn angehen, dass der immer so gut drauf ist? Und mittlerweile glauben sie daran, dass ich meinen Job gerne mache, dass ich da drinne wirklich die Erfüllung hab’…“

Auch diese Erzählung ist dazu da, eine Aussage zu stützen. Sie ist ausführlicher als ein klassisches Argument. Sie verzichtet meistens auf allgemeine Fakten. Ihre Stärke bekommt sie, weil sie persönlich ist und nachvollziehbar. Beweischarakter hat sie nicht. Sie ist überzeugend, weil sie als Beispiel nah heranführt.

Auf diese Weise „argumentieren“ wir im Alltag sehr häufig: Du kannst nicht schlafen? Nimm Baldrian. Mir hat’s geholfen.

3. Ein Produkt erzählt seine Geschichte

In vielen klassischen Werbetexten wird die Geschichte einer Firma oder ihres Produkts erzählt. Die Marke wird gestärkt dadurch, dass sie zu einer Art Persönlichkeit mit eigener Biografie wird. Dies zeigen schöne Beispiele aus den 1950er-Jahren. Dazu gehören die Spots oder Anzeigen von 4711:

1792: Um diese Zeit wurde die Stadt Köln am Rhein von der französischen Revolutionsarmee besetzt. Der Stadtkommandant General Dorier erteilte die Order: „Herr Bürgermeister! Hiermit befehle ich, die ganze Stadt Cologne, Haus für Haus durchzunummerieren.“ So ritt befehlsgemäß ein französischer Korporal durch die Glockengasse zu Köln, parierte vor dem Patrizierhaus in Mühlen sein Pferd und schrieb über das Tor die Zahl 4711. So entstand aus einer schlichten Hausnummer das weltbekannte Zeichen für 4711 echt Kölnisch Wasser.

Man weiß mehr über die Marke, erfährt, wieviel Tradition angeblich dahinter steckt. Man verbindet die Werte, den man aus ihrer Geschichte liest, mit den Werten des Produkts.

4. Die Marke erzählt die Geschichte von anderen

Schließlich kann die Marke Geschichten erzählen, in denen ganz andere Protagonisten vorkommen und die nichts direkt über sie selbst sagen. Nur die Werte, die diese Geschichten transportieren, sind wichtig. Sie sollen sich mit dem eigenen Namen, mit der Marke, mit dem Produkt verbinden. Ähnlich wie bestimmte Landschaften und Marlboro zusammengehören, verbinden sich Gute Taten mit Coca-Cola, Abenteuerlust mit Red Bull usw.

Das Folgende ist so eine Erzählung. Der Filmschauspieler Nicolas Cage wird im Red-Bull-Bulletin zitiert. Er spricht über seine Art, sich beim Drehen zu motivieren:

An dem bewussten Drehtag stand bei „Joe“ eine sehr komplizierte Szene auf dem Programm, und irgendwie war mein Adrenalin-Level nicht hoch genug. Ich war nicht so konzentriert, wie ich sein wollte. Da hatte ich die Idee mit der Schlange und fragte Regisseur David Gordon Green, ob er ­etwas dagegen hätte. Er meinte: „Versprich mir nur, dass du nicht stirbst. Sonst stehe ich da wie ein kompletter Idiot.“ Ich versprach ihm, nicht zu sterben, nahm die Schlange … und bang – es funktionierte, das Adrenalin schoss mir ein. Ich kann auf Adrenalin surfen…

Diese Erzählung steht nicht im Zusammenhang mit Red Bull. Nicolas Cage wird nicht als einer dargestellt, der Red Bull trinkt. Die Verbindung ergibt sich dadurch, dass beide, Cage und Bull im gleichen semantischen Feld grasen.

Vom Argumentieren zum Geschichtenerzählen: nochmals Coca-Cola

Im Frühjahr 1912 wirbt Coca-Cola in den amerikanischen Zeitungen mit fulminanten Überzeugungsreden:

The Old Oaken Bucket Filled to the brim with c o l d, c l e a r purity – no such water nowadays. Bring back the old days with a glass or bottle of Coca-Cola. It makes one think of everything that’s pure and wholesome and delightful. Bright, sparkling, teeming with palate joy – it’s your soda fountain old oaken bucket. [The Daily Courier-Gazette, McKinney, Texas, 21.05.1912, p.3]

Im Dezember 2013 erzählt die „Journey Redaktion“ von Coca-Cola Deutschland auf ihrer Website die Geschichte des Straßenmusikers Davide, der sein gewichtiges Instrument von Ort zu Ort transportiert, um „seine Musik mit Menschen auf der ganzen Welt zu teilen“:

Ein sonniger Herbsttag in Konstanz. Der Bodensee glitzert geheimnisvoll, ein Zauber liegt in der Luft, untermalt durch die Klänge eines Klaviers. Moment mal, wieso Klavierklänge? Die Temperatur ist unter zehn Grad, weit und breit keine Konzerthalle zu sehen … Davide Martello sitzt mitten auf der Fahrradbrücke an seinem Flügel – und die Menschen bleiben stehen. […] Davide chauffiert seinen geliebten Flügel quer durch die Lande – um den Menschen seine Musik nahe zu bringen. Denn anderen eine Freude zu machen, das ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Und in der Weihnachtszeit entdeckt der Klavierspieler den Santa in sich: Er bringt die Menschen auf der Straße trotz bitterer Kälte immer wieder dazu, kurz inne zu halten und mit einem Lächeln im Gesicht seinen Klängen zu lauschen. Wer mehr über den „bewegenden“ Konstanzer Künstler erfahren möchte, schaut einfach mal auf http://www.klavierkunst.com/ oder https://www.facebook.com/klavierkunst vorbei.

Die klassische Aufforderung „Trinkt Coca-Cola!“ findet sich nirgends auf der Seite. Nur zuunterst in kleiner Schrift ein paar nüchterne Informationen über das Unternehmen mit einem Schwerpunkt auf der Nachhaltigkeit (Coca-Cola Deutschland wurde von der VERBRAUCHERINITIATIVE e.V. als Nachhaltiger Hersteller 2011 in Silber ausgezeichnet).

Coca-Cola ist die Marke, die sich von anderen dadurch unterscheidet, dass sie Optimismus und Lebensfreude verkörpert. Coca-Cola erzählt Geschichten. Sie spielen im Umfeld von Sport, modernen Städten und Entertainment. Dies alles strahlt auf die Produkte aus. Sie sind mit den Werten und Stimmungen dieser Geschichten aufgeladen. („Die Botschaft ist eindeutig: Wer sich für Coca-Cola entscheidet, entscheidet sich für die schönen Seiten des Lebens!“)