Henry Ford patzt

Dem Publikum gerecht werden – das geht nur, wenn man es ernst nimmt.

Henry Ford, der den Mittelklasse-Amerikanern ein erschwingliches Auto, Zehntausenden Arbeitern eine Anstellung und Millionen den Traum des America first näher gebracht hatte, war 1923, also knapp 90 Jahre vor dem politischen Abenteuer Donald Trumps, der beliebteste Name für die Präsidentschaftswahlen des Jahres 1924. Er galt zwar in Politikerkreisen als wenig geeignet für das Amt, das er ähnlich wie seine Unternehmen zu führen gedachte. Aber aus heutiger Sicht wäre er mit seinen liberalen Ansichten (von Frauenrechten über die Gleichstellung von Schwarzen zum Pazifismus und zur Bekämpfung der Todesstrafe) eine Bereicherung für den Wahlkampf gewesen.

Wenn da nicht das Problem gewesen wäre, dass Wahlkampf vor allem Reden bedeutete. Und Ford fühlte sich beim öffentlichen Reden unwohl. Sobald die Zuhörerzahl nicht mehr überschaubar blieb, war er gehemmt. Und der Wahlkampf würde ja vor allem aus öffentlichen Auftritten vor Hunderten und Tausenden von Wählern bestehen.

Es würden Auftritte sein wie derjenige im berüchtigten Gefängnis von Sing-Sing. Wie es ihm ging, schildert Vincent Curcio in seiner Ford-Biografie. (Curcio, Vincent [2013]: Henry Ford. New York: Oxford University Press, S. 187.)

Ford erachtete Gefängnisse als Riesenverschwendung von staatlichen Mitteln und menschlichen Ressourcen. Statt Menschen in altertümlichen Zellen einzuschließen, wollte er ihnen eine Chance geben, nach ihrem Scheitern neu anzufangen und etwas Produktives zu leisten.

Er hätte also den Gefangenen in Sing-Sing viel zu sagen gehabt. Die einzige Aufgabe wäre gewesen, sich und seinen Zuhörern Zeit zu geben, sich auf einander einzulassen. Stattdessen trat er mit einer klassischen Captatio benevolentiae auf, mit einem stereotypen Begrüßungssatz. Er kam nicht an.

Das wäre vielleicht anders gewesen, wenn er sich bewusst gewesen wäre, dass es bei Reden nicht in erster Linie um Effekt geht, sondern um Kontakt. Wer sich Zeit nimmt, das Publikum wahrzunehmen, kann sogar mit einer alten Phrase punkten. Aber nicht, wer schematisch das sagt, was man als Amerikaner von früh auf eingebläut bekommt, – nicht in Sing-Sing. Henry Ford trat aufs Podium und sagte zu den versammelten Sträflingen: „Ich freue mich, dass Sie alle hier sind!“