Storytelling, Teil 2: Was bedeutet Erzählen?

„Erzählen“ hat im Deutschen mehrere Bedeutungen. Für die Diskussion über Storytelling ist es wichtig, die Begriffe zu klären und auseinanderzuhalten.

Erzählen ist eine der sprachlichen Handlungsformen, die man als Journalistin oder Journalist beherrscht. Wer erzählt, gibt die Entwicklung einer Geschichte von einem Anfangszustand zu einem Endzustand dar.

  • Wer nicht erzählt, vollzieht eine andere Handlung, z.B. melden:
  • Wer meldet, gibt den Kern eines Ereignisses wieder.
    Wer nicht erzählt oder meldet, vollzieht eine andere Handlung, Z. B.: berichten.
  • Wer berichtet, gibt ein Ereignis von seinem Resultat her wieder.
    Wer nicht berichtet, vollzieht eine andere Handlung, z.B. kommentieren.
  • Wer kommentiert, nimmt zu einem Ereignis Stellung.
  • usw.
  • Wir gehen davon aus, dass jeder journalistische Text auf eine Haupthandlung reduziert werden kann. Deshalb unterscheiden wir verschiedene Texttypen: Meldung, Bericht, Kommentar usw.

Oft enthalten diese Texte Erzählpassagen – oder sie haben (wie z. B. viele Reportagen) das Erzählen als Hauptfunktion.

Von den Kernaufgaben des Journalismus aus gesehen (vom Melden, Berichten), erfüllen erzählerische Passagen oder erzählerische Texte eine Zusatzleistung.

Wenn in Nachrichten oder in Berichten nur noch erzählt würde, wenn nur noch erzählerische Reportagen o.ä. produziert würden, verlöre der Journalismus eine wichtige Funktion, nämlich die Vermittlung aktueller Fakten.

Diese Begriffsklärung soll als Grundlage dienen für die Diskussion über Storytelling im Journalismus.

Eine gute Erzählung braucht Vertiefung

Storytelling, so attraktiv es ist, kann im Informationsjournalismus nicht das Hauptziel sein. Zwar gibt es in jeder Kultur Kommunikationsformen, in denen sich alles um das Erzählen dreht (z.B. den Stammtisch, das Lagerfeuer), aber im Journalismus ist es eine Zusatzhandlung. Es dient der Präsentation, der Illustration, der Verarbeitung aktueller Fakten.

Die Autorin Susanne Stiefel begleitet einen papierlosen Algerier durch die Stuttgarter Innenstadt. Sie schildert hautnah, was es bedeutet, sich zu ständig davor zu fürchten, kontrolliert, festgenommen, abgeschoben zu werden.

Die Reportage macht erfahrbar, was es heißt, „illegal“ zu sein. Ein nüchterner Bericht vermag dies nicht in dieser Intensität. Dennoch braucht es neben solchen Reportagen Texte über die aktuelle politische Entwicklung. Die Erzählung zeigt den Einzelfall. Für sie gibt es die Reportage. Die politische Information enthält eine Abstraktion. In der Nachricht und im Bericht kommt man nicht um sie herum.