Einige Zitate zum Thema Pressefreiheit

Wer die “Novaja Gazeta” im Internet lesen will, stößt auf die folgende Mitteilung der Redaktion vom 28. März 2022:

Wir stellen die Arbeit ein.
Wir haben eine weitere Warnung von der Kommunikationsaufsichtsbehörde  (Roskomnadzor) bekommen. Infolgedessen stellen wir die Ausgabe der Zeitung auf der Website, in den sozialen Medien und in Papierform ein – bis zur Beendigung der “speziellen Operation auf dem Territorium der Ukraine”.
Mit freundlichen Grüßen
Die Redaktion der “Novaja Gazeta” (*)

Novaja Gazeta bietet auf ihrer Homepage die Möglichkeit, die eigene E-Mail zu hinterlassen, um allenfalls auf andere Art in Kontakt zu bleiben.

Novaja Gazeta gehört zu einer Reihe von Dutzenden von Informationsmedien, die verstummt sind (die meisten, weil sie vom ROSKOMNADZOR blockiert wurden). Wer eine dieser Websites aufsucht, findet in großen Lettern die Meldung:

Die betreffende Mitteilung (bzw. das Material) wurde verfasst und (oder) verbreitet durch ein ausländisches Massenmedium, das die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt, und (oder) durch eine russische juristische Person, die die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt. (**)

Es ist die Pflicht des betroffenen Mediums, diesen Text über jedem Artikel zu platzieren, wie das Nachrichtenorgan Mediazona erklärt. Nicht nur das Medienunternehmen als jurstische Person ist als “ausländischer Agent” gebrandmarkt, sondern auch namentlich der Chefredakteur und der Herausgeber als natürliche Personen.

Ich wünschte, ich könnte dagegen sagen, dass ich in einem Land lebe, in dem es nicht zu Zensur und Abschalten unerwünschter Medien kommt, auch wenn diese Lügen und Kriegspropaganda verbreiten. Die Kommissionspräsidentin der EU hat aber schon am 27. Februar 2022 dafür gesorgt, dass wir EU-Bürger*innen davor bewahrt werden, in derartigen Medien zu recherchieren:

… werden wir in einem weiteren beispiellosen Schritt die Medienmaschine des Kreml in der EU verbieten. Die staatlichen Medien Russia Today und Sputnik sowie ihre Tochtergesellschaften werden nicht mehr in der Lage sein, ihre Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und unsere Union zu spalten. Daher entwickeln wir Instrumente, um ihre toxischen und schädlichen Desinformation in Europa zu verbieten.

Der Schritt ist wahrlich beispiellos – außer man sucht die Beispiele woanders: in Russland, in China, in der deutschen Geschichte…


(*)
Мы приостанавливаем работу
Заявление редакции «Новой газеты»
Мы получили еще одно предупреждение Роскомнадзора.
После этого мы приостанавливаем выпуск газеты на сайте, в сетях и на бумаге — до окончания «специальной операции на территории Украины».
С уважением, редакция «Новой газеты»

(**)
ДАННОЕ СООБЩЕНИЕ (МАТЕРИАЛ) СОЗДАНО И (ИЛИ) РАСПРОСТРАНЕНО ИНОСТРАННЫМ СРЕДСТВОМ МАССОВОЙ ИНФОРМАЦИИ, ВЫПОЛНЯЮЩИМ ФУНКЦИИ ИНОСТРАННОГО АГЕНТА, И (ИЛИ) РОССИЙСКИМ ЮРИДИЧЕСКИМ ЛИЦОМ, ВЫПОЛНЯЮЩИМ ФУНКЦИИ ИНОСТРАННОГО АГЕНТА.

Protest in der russischen Tagesschau

Protest einer Mitarbeiterin im "1. Kanal", 14. März 2022

14. März 2022: Eine Mitarbeiterin protestiert während der Nachrichtensendung im “1. Kanal” des russischen Fernsehens. Vor ihr die Moderatorin Ekaterina Andreeva.

Text auf dem Plakat: NO WAR – BEENDIGT DEN KRIEG – GLAUBT NICHT DER PROPAGANDA – HIER LÜGT MAN EUCH AN – RUSSIANS AGAINST WAR

Ausschnitte aus der Sendung sind auf YouTube zu finden.

Aufschlussreich ist, wie das Bild präsentiert wird, wenn man sich an die Zensurvorschriften der russischen Regierung halten muss. Die Novaja Gazeta (die auch immer wieder darauf hinweist, dass gewisse Texte entfernt werden mussten) bringt das Bild als “Foto des Tages” so:

Gestrichen sind alle Sätze, die das Wort “Krieg” enthalten, zudem die Behauptung der Lüge. Es bleibt der Aufruf: “Glaubt nicht der Propaganda!” auf dem Plakat. Begründung: “Dessen vollständigen Inhalt wiederzugeben, verbieten uns Roskomnadzor* (Роскомнадзор) und das Strafgesetzbuch.

Die Frau (nach unbestätigten Berichten Marina Ovsjannikova), die die Sendung auf diese Weise ergänzt hat, wurde laut Medienberichten sofort festgenommen.


* Roskomnadzor ist das Kurzwort für Federal’naja služba po nadzoru v sfere svjazi, informacionnych technologij i massovych kommunikacij (Федеральная служба по надзору в сфере связи, информационных технологий и массовых коммуникаций).
Zu Deutsch: “Föderaler Dienst für die Aufsicht im Bereich der Kommunikation, Informationstechnologie und Massenkommunikation.”

 

 

 

Kriegsnachrichten in der skandinavischen Presse für ein russisches Publikum

Drei große skandinavische Zeitungen publizieren Artikel auf Russisch. Es sind Dagens Nyheter aus Schweden, Helsingin Sanomat aus Finnland und Politiken aus Dänemark.

Народ России имеет право знать –
The Russian People have the Right to Know

schreiben die Chefredakteure in einer gemeinsamen Erklärung. Sie publizieren Artikel, die auf ihren Websites auch in der eigenen Sprache und auf Englisch zu finden sind. Wohl um die AutorInnen zu schützen, sind sie oft nicht mit Namen gezeichnet. Einige Namen wirken wie Pseudonyme.

Helsingin Sanomat berichtet aus der russischen Grenzregion: In der Nähe von Vyborg (Viipuri) liegt eine Siedlung, die eine 4000 Mann starke Brigade der mechanisierten Infanterie beherbergt. Laufend treffen dort jetzt Nachrichten ein, dass Angehörige verwundet oder gefallen sind.

„Sie wurden zu Manövern nach Belgorod geschickt,“

erzählt die Frau eines Offiziers. Belgorod ist in Russland, 80 km vom ukrainischen Charkiv entfernt.

Dagens Nyheter bringt Bildreportagen aus Žitomir, aus einem Luftschutzkeller, aus einer zerbombten Schule. Die Lehrerin, die durch die Schule begleitet wird, geht mal hierhin, mal dahin; Glassplitter knirschen unter ihren Schuhen. Am Schluss hält es sie da nicht mehr: “Ich muss raus und meine Klasse sehen.”

Eine Analyse in Dagens Nyheter zeigt die Diskrepanz auf zwischen dem ursprünglichen Kriegsplan (eine dreitägige Operation) und den Ereignissen, wie sie sich in bis dahin 9 Tagen entwickelt haben:

Experten: Die russische Invasion ist ein schlecht ausgedachter Plan.

Politiken zitiert eine Aktivistin aus Moskau, die sich verfolgt fühlt, wenn sie auf den Straßen demonstriert, und dennoch nicht bereit ist zu schweigen. Und die Zeitung publiziert auch ihren „Aufruf ans russische Volk“, in dem auf Russisch erklärt wird, dass Putin lügt, und gleichzeitig, dass mit den Sanktionen nicht die Menschen, sondern die Kriegsmaschinerie getroffen werden soll.

Wir sagen nein zu Putins blutiger Aggression. Wir sagen ja zum russischen Volk, das Putin und seine mörderische und despotische Autokratie nicht verdient hat.

Letzteres wird in Russland wohl weniger benötigt als die informativen Reportagen und Berichte. Ich erinnere mich daran, wie russische Systemgegner in der Sowjetzeit westliche Radiosendungen kommentiert haben. Was nach antikommunistischer Propaganda klang, interessierte sie weniger. Dankbar waren sie für Nachrichten mit Informationen, zu denen sie sonst keinen Zugang hatten.

Die russischsprachigen Texte wirken aber mindestens wie ein Symbol: Wir unterstützen die russischen Journalistinnen und Journalisten, die strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie versuchen, die Wahrheit zu berichten.

Für westliche Leserinnen und Leser wird es sich immer lohnen, auch Websites russischer Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, etwa Novaja Gazeta, die sich noch um eine alternative Berichterstattung bemühen.

In der Aktion koopiereren Zeitungen eines NATO-Staates und zweier bisher neutraler Staaten, die ihre Beziehungen zur NATO diskutieren. In Finnland spricht sich in Umfragen von Helsingin Sanomat ungefähr eine Hälfte der Befragten für eine NATO-Mitgliedschaft aus (ähnlich in Schweden, wo die Regierung zumindest “die Tür zur NATO nicht zumacht”). Allerdings schwanken die Zahlen seit dem Beginn des Krieges. Die Regierung aber will das Parlament in eine Umgestaltung der Außenpolitik einbinden. Und das unter scharfer Beoachtung durch den großen Bruder, mit dem Finnland 1340 km Landesgrenze teilt. (“Die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO erfordert Gegenmaßnahmen [ответные шаги] von Russland” heißt es dort nicht besonders freundlich.)