Die Sehnsucht nach autoritären Rednern

Corona hat uns eine neue Art der politischen Rede gebracht. Die, deren Botschaften von Unsicherheit und Nichtwissen geprägt sind. Jörg Häntzschel, Feuilleton-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, findet das bedauerlich.  Er wünscht sich eine Bundeskanzlerin, die die Bundesrepublik mit klaren, autoritativen Botschaften durch „die schwerste Krise ihrer Geschichte“ führt.

„Wir haben Führungspersönlichkeiten gewählt, keine Sozialpädagogen, die ihre Worte bedachtsam wählen, damit sie nicht böse klingen.“

Sein Vorbild sind Jeff Smith und Helmut Schmidt.
Jeff Smith? – Der junge, unerfahrene Politiker aus dem tollen alten Film von Frank Capra, der im Kapitol fast 24 Stunden lang redet – allerdings gerade ohne mit seinen Inhalten überzeugen zu können.
Helmut Schmidt? – Der Bundeskanzler, der nach der Ermordung Hanns-Martin Schleyers einen dramatischen Appell an den „Willen des Volkes“ richtete. Jeder habe die “unabweisbare moralische Pflicht”, die Behörden mit Hinweisen zu unterstützen.

Ich wünsche mir zu Zeiten von Corona keinen Schmidt und keinen Smith (und auch keinen Macron und keinen US-Präsidenten wie offenbar Häntzschel). Denn wir sind weder unter korrupten Senatoren (wie bei Capra) noch im deutschen Herbst mit seinem klaren Feindbild.

Corona hat uns eine Krise beschert, in der wir uns anhand aktueller Erkenntnisse der Wissenschaften orientieren müssen. Und wir erleben genau das, was wissenschaftliche Erkenntnis ausmacht: Unsicherheit, Suche, Dispute.

Wir erleben, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Meinung erst langsam fassen, dann sogar ändern und dass sich das Bild von der Krise erst im Lauf der Zeit ergibt.
Das ist unbefriedigend, wenn man auf einfache politische Lösungen hofft. Aber es ist auch eine einmalige Chance. Die Wissenschaft ist von ihrem Sockel heruntergekommen und lässt uns an ihrem Suchprozess teilhaben. Eine verantwortungsvolle Politikerin muss zwar trotzdem Entscheidungen fällen, sie wird aber dieser Dynamik Rechnung tragen.

Ausländischen Beobachterinnen fällt dagegen die gigantische Angst der Deutschen vor Kontrollverlust auf, der man nur begegnet, indem eine Regeln über Regeln aufgehäuft werden.
Eine finnische Radiojournalistin hat in diesem Herbst ein nettes Bild geprägt. Die Deutschen wünschten sich als politische Führerin die Mama eines Teenagers, die, ohne lange zu überlegen, sagt: „Jetzt kriegst du Hausarrest. Du machst keinen Schritt mehr vor die Tür.“ Ihre Alternative: die Mutter, die fragt: „Wie geht’s dir?“ und: „Ist alles in Ordnung?“

Eine politische Rede, in der sich PolitikerInnen zur Ungewissheit bekennen, mag manchmal frustrieren. Aber sie enthält immerhin etwas mehr Wahrheit als eine, die lospoltert, als ob alles längst klar wäre.