Hören (im Zusammenhang mit Musik) ist – wie erwähnt – im Gegensatz zu Anhören oder Zuhören eine vorwiegend unfreiwillige Tätigkeit, zumindest bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Im Jahre 1875 erschien der Teil des Grimmschen Wörterbuchs (Holzmarkt bis Hurre), der das Wort hören in all seinen Verwendungsweisen dokumentierte. Hier hat hören noch vor allem die Bedeutung: „durchs Gehör wahrnehmen (können).“
Zwar gibt es hier das transitive „mit Aufmerksamkeit hören“ – etwa wenn der Psalmist sagt: “Gott, höre mein Gebet!“ Oder das studentische Konsumieren von Vorlesungen: „Er hört eine Vorlesung bei Professor N.“ Aber von der selbständigen Handlung „Musik hören“ unserer Tage („ich wähle mein persönliches Programm“) ist das weit entfernt. Das Wort „Musik“ kommt im ganzen langen Artikel zum Thema „Hören“ nur einmal vor, im Zusammenhang mit den Posaunen von Jericho.
Unfreiwilliges Hören von Musik
Und für die Bewohnerinnen und Bewohner von Jericho war es ein ziemlich unfreiwilliges Hören:
„Und lass sieben Priester sieben Posaunen tragen vor der Lade her, und am siebenten Tage zieht siebenmal um die Stadt und lass die Priester die Posaunen blasen. Und wenn man das Horn bläst und ihr den Schall der Posaune hört, so soll das ganze Volk ein großes Kriegsgeschrei erheben. Dann wird die Stadtmauer einfallen, und das Volk soll hinaufsteigen, ein jeder, wo er gerade steht. (Josua 6, 4-5.)
Die Leute in der belagerten Stadt ertrugen diesen Lärm sieben Tage lang. Dann fiel die Mauer, und alle Männer, Frauen und Kinder wurden umgebracht (außer der Hure Rahab und „dem Haus ihres Vaters und allem, was sie hatte“).
Beschallung als Folter
Das 21. Jahrhundert hat den Ordnungshütern und Armeen dieser Welt Geräte beschert, die es überflüssig machen, sich dem Gegner mit Posaunen zu nähern: long range acoustic devices (Jürg Häusermann (2017): Auditory Media, in: Cotter & Perrin (eds.): The Routledge Handbook of Language and Media, S. 221). Sie transportieren Töne über weite Distanzen und in großer Lautstärke (bis 160 dB – was das Gehör irreparabel schädigen kann). Die übertragenen Frequenzen müssen nicht, aber können musikalischer Natur sein.
Die Royal Navy hat angeblich die schlimmsten Songs von Britney Spears eingesetzt, um Piraten vor der somalischen Küste zu vertreiben.
In Guantanamo und anderswo wurden Häftlinge allein oder in Gruppen mit Rockmusik beschallt, um sie zu verwirren oder zu Geständnissen zu bewegen (die sich allerdings nachträglich auch als falsch erwiesen).
Selbstbeschallung
Und dann sitzen die Soldaten in ihren Camps und beschallen sich selbst. Sie nutzen die gleiche Musik, mit der Häftlinge gefoltert werden, um sich für den Kampf zu motivieren.
Ein Veteran des Irak-Kriegs:
„Sometimes your motivation is down and you’re like, “I don’t want to play soldier today, I don’t want to do this.” But then you hear “The Good, the Bad, and the Ugly” theme song and you’re like, “Fuck yeah, hell yeah, I’ll go out on a mission today.” (Pieslak, Jonathan (2009): Sound Targets. American Soldiers and Music in the Iraq War. Bloomington: Indiana University Press, S. 51.)
Es gibt eine lange Liste von Songs, die verwendet wurden, um Kriegsgefangene zu foltern. Und eine viel längere von Songs, die halfen, sich zum Töten zu motivieren:
I’m going to have to shoot at someone today, so might as well get pumped up for it. So that Eminem song, “Go To Sleep,” when we got to Fallujah was kind of our anthem and before every mission we’d blare that and we’d all scream the lyrics out.” (S. 51)