Denkwürdige Pausen, Teil I: Der Held der Steine denkt

Warum kann Thomas Panke fünf Sekunden lang in die Kamera starren und nachdenken, ohne dass es peinlich wird?

Er hat gerade eine Viertelstunde lang geredet und will noch zehn Minuten länger reden. Er hat ein Thema, das ihm liegt: Wie verdiene ich mit YouTube Geld? – Er hat (unter anderem) zwei YouTube-Kanäle und einer der beiden ist deutlich als Dauerwerbesendung für Systembausteine deklariert. So erklärt er denn, wie er das macht, mit zugeschalteter Werbung, Affiliate marketing und dadurch, dass er liebevoll Produkte vorstellt, die man bei ihm kaufen kann.

Jetzt, bei Minute 15, hat er eigentlich alles aufgezählt und er hält inne. Auf seiner Stirn steht deutlich zu lesen: „Was wollte ich noch sagen?“ Aber es ist ihm nicht peinlich. Er blickt weiter in die Kamera, atmet aus und sagt zuerst mal nichts. Dann sagt er: „T – t – t- t- t – t – t – t – t – t“ und fügt hinzu: „Bleibt mir noch was?“

Dann hat er den Faden gefunden. Wie in vielen Lehrbüchern empfohlen, behilft er sich zuerst einmal mit einer Wiederholung. Und dann plaudert er munter weiter bis Minute 25:27, wo er uns schnell gesprochene, aber doch auch ausführliche Abschiedsworte widmet:

Und jetzt wünsche ich euch, dass ihr gut in die nächste Woche kommt, ähm macht was Schönes, äh unterhaltet euch irgendwie gut äh und äh äh ja genau: Alles Gute euch! Bis bald“

Dieses Zitat bringt übrigens gleich eine Erklärung für die leichte Verdaulichkeit der Fünf-Sekunden-Pause: Sein Stil ist assoziativ. Er spricht frei und lässt sich von Ad-hoc-Ideen leiten. Das bedeutet nicht, dass er unvorbereitet spräche. Aber dass er improvisiert, ist ein Stilmerkmal. Und wenn ihm mitten in seinem Geplauder über kontraproduktive Werbeeinlagen ein Kochschinken durchs Hirn fliegt, dann hält er halt einen imaginären Kochschinken hoch, und bis dahin zugeguckt hat, dankt es ihm.

Das ist nicht jedermanns Stil. Das braucht man nicht zu können. Aber die Grundlagen dafür, dass einem so etwas abgenommen wird, hat jede Rednerin, jeder Redner zur Verfügung:

1. Er bleibt sich selber treu

Er ist authentisch. Er versucht nicht, eine Rolle zu spielen, die ihm nicht liegt. Bei manchem würde das zu langatmigem Geschwurbel führen (was auch in Ordnung wäre), aber bei ihm führt es zu verbalen, nonverbalen und paraverbalen Purzelbäumen und dazwischen eben auch mal zu Hängern, die sich organisch einfügen.

2. Er bleibt in Kontakt

Wie jeder, der nach dem verlorenen Faden sucht, muss er irgendwohin gucken. Er guckt weiter in die Kamera! Er schielt nicht nach rechts oben, er schaut nicht vor sich auf den Tisch. Er guckt einfach weiter seinem Publikum in die Augen. Das tut er sowieso fast immer (außer wenn er auf dem Monitor kontrolliert, ob auch zu sehen ist, was er zeigt).

3. Er denkt mit

Er denkt mit. Das ist NICHT selbstverständlich. Viele, die vor sich eine Gedächtnisstütze oder gar einen Teleprompter haben, denken nicht mehr. Sie reproduzieren. Sie hangeln sich von einem Stichwort zum nächsten, von Zeile zu Zeile. Der Held denkt. Damit er das kann, muss er sich natürlich schon mal früher mit seinem Thema befasst haben. Also: In seinem Held-der-Steine-Kanal merkt man das deutlich: Er hat ein Lego- oder BlueBrixx-Modell aus einigen tausend Teilen zusammengebaut, und das hat deutlich länger gedauert als die zwanzig Minuten, in denen er davon erzählt. Also:

4. Er weiß mehr, als er sagt

Er weiß mehr, als er sagt. Das gibt die Sicherheit, die es braucht, um überzeugend reden zu können: Mehr zu wissen, als man sagt. Das alles wäre nicht so wahnsinnig verblüffend, es ist alles die Grundlage für jeden überzeugenden Vortrag. Und es ist das Gegenteil dessen, was viele Profi-Redner tun: Sie lassen sich eine Rede von RedeschreiberInnen zusammenschustern und geben die dann anhand eines ausformulierten Textes wieder. Das mobilisiert weder Authentizität noch Mitdenken. Es führt dazu, dass einige sich in der Öffentlichkeit besser präsentieren als andere, weil sie einen Ansatz zu schauspielerischen Fähigkeiten haben. Und gute Teleprompter. Mit Überzeugungskraft hat das nichts zu tun.

Das alles kannst du auch

Du kannst authentisch bleiben.
Du kannst den Kontakt zu deinem Publikum behalten.
Du kannst denken, während zu sprichst.
Du kannst mehr wissen, als du sagst.

Allerdings wirst du damit nicht das erreichen, was dir die Rhetorik-Gurus versprechen:

Es wird dir nur bringen, dass du im Takt deiner Gedanken bleibst und dass dein Publikum mit dir im gleichen Takt mit dir geht.Das ist nicht alles, was du für eine erfolgreiche Rede brauchst. Aber ist eine Grundbedingungen dafür, dass du mit deinem Publikum in den Dialog trittst.

Im Gleichklang mit dem Publikum

Matthias Pöhm bringt seine Jünger dazu, ihre Botschaften „rhythmisch auseinander zu dehnen“. Sie sollen jedes Wort im Satz betonen und dazwischen klare Pausen setzen. Sie sollen skandieren. Toll! Wenn das Publikum aus lauter schwachsinnigen Aktionären oder tumben Wählern besteht, ist das ein geiler Tipp. Aber wenn es darum geht, Informationen und Gedankengänge zu teilen, wenn du daran interessiert bist, was aus dem Publikum zurückkommt, dann ist es besser, deinen eigenen Rhythmus zu bewahren. Wenn du dabei mitdenkst und nicht Phrasen drischst, dann synchronisierst du dich mit ihm. Nicht mit allen. Einige werden trotz allem lieber ihre WhatsApp-Nachrichten checken. Aber die, die für deine Botschaft offen sind, wirst du dabei haben. Einen Schritt nach dem anderen. Wie der Held der Steine.

Denkwürdige Pausen, Teil II

Das war: Denkwürdige Pausen, Teil eins. – Teil zwei kann ich gleich nachschieben: Es ist die Pause, die du machst, um deinem Publikum zuzuhören. Dazu brauchst du keine Beispiele und keine weiteren Links. Du brauchst es nur zu tun.

Denkwürdige Pausen, Teil III

Warum soll die Pause des Helden so speziell sein, wo es doch auf Twitch Leute gibt, die vier Stunden ununterbrochen vor sich hin brabbeln und dann sagen: “Ich geh’ jetzt mal aufs Klo und dann spielen wir…”?  – Weil es ein komplett anderes Format ist. Der Held ist mit seinem YouTube-Kanal näher bei klassischem Fernsehen und sehr weit von den unstrukturierten Spiel- und Chat-Produktionen. Auch in denen ist natürlich die ganze Palette von Alltagsimprovisationen möglich. Aber wir können nichts daraus lernen, wenn unser Ziel ist, informative Vorträge zu halten oder unterhaltsame Videos zu produzieren.