Das Publikum aufwecken – Teil 2

Um das Publikum aufzuwecken, musst du selbst aufgeweckt sein. Das heißt: Du musst „dabei“ sein, wenn du sprichst. Das heißt: Du bist dir bewusst, was du tust, und dass du es zusammen mit deinem Publikum tust.

Es kann vorkommen, dass du dich während einer längeren Online-Präsentation schrittweise von deinem Publikum entfernst. Eines von vielen Anzeichen dafür: Deine Stimme wird monotoner und etwas kraftloser.

Das kann jedem passieren

Der Held der Steine hat so einen Moment bei der Präsentation des neuesten Lego-Bausatzes aus der Batman-Welt. Es hat den Tumbler zusammengebaut, ein Vehikel, das wie ein überdimensionierter schwarzer Rollschuh daherkommt, aber für Verfolgungsrennen in der Dark-Night-Trilogie essentiell ist. Wenn ich es richtig verstehe, ist es ein Highlight in der größtenteils mauen Lego-Produktepalette, und der Held präsentiert es liebevoll-ironisch genug, um die Fans zu interessieren, aber nicht zum voreiligen Kauf zu verlocken. Es gefällt ihm halt nicht alles, und einiges mag er auch nicht nochmals sagen, nachdem er sich schon bei einer über vierstündigen Live-Session auf Twitch daran abgearbeitet hat. Deshalb verändert sich dann auch kurzfristig seine Präsenz (zwischen 12:00 und 12:30).

Wird es zu privat?

Der Kontakt droht sich zu lösen, als er sich von einem aus seiner Sicht unzulänglichen Aspekt des Fahrzeugs (von Reifen, die nicht zum Modell passen, bis zu einem Sockel, der nichts Neues bietet) und spricht eher in sich hinein als zum Adressaten: die Stimme rutscht nach hinten, wird leiser, verschliffener. – Der Klang rutscht damit etwas von der „persönlichen“ und doch „öffentlichen“ in Richtung „privat“.

Das kann passieren. Nichts, wovor man sich fürchten müsste. Aber es ist nur tolerierbar, wenn man aus diesem Tunnel wieder herauskommt. Und natürlich kommt der Held der Steine spielend heraus. Denn er vergisst auch dabei das „Du“ nicht, und es folgen gleich Phasen, die alles herausreißen.

Neueinsatz durch eine neue Sprechhandlung

Deshalb lohnt es sich, den Wiedereinsatz bei Minute 12:25 zu studieren. Der Held lässt auf die flaue Kritik ein Lob folgen. Er sagt: „Sie haben an anderer Stelle ’n bisschen nachgelegt. Darüber war ich sehr erfreut…“ Das ist eine neue Sprechhandlung. Und jede neue Sprechhandlung bietet die Chance, wieder anders zu sprechen. Dem Helden ist bewusst: Das ist ein Neueinsatz, das muss ich auf andere Art sagen.

Neueinsatz durch Ich-Botschaft

Was er sagt, ist übrigens nicht irgendein Lob, sondern es ist in Ich-Form gesprochen. Das ist in jedem Fall möglich, sobald man eine subjektive Wertung formuliert. Schon das „Ich“ allein bringt ihn wieder näher zum Adressaten und verstärkt die Stil- und Rhythmuswechsel.

Neueinsatz durch die Körpersprache

Auch die Körpersprache unterstreicht diesen Neueinsatz. Er wendet sich jetzt leicht nach vorn, er lächelt. Mit einem Wort: Er wird wieder lebendig.

Neueinsatz durch Rhythmuswechsel

Auch die Stimme wieder kräftiger, die Satzmelodie geht hoch und runter, der Rhythmus ist anders. Das geschieht automatisch, wenn man sich bewusst ist, was man tut (und für wen man es tut).

Wer auf eine längere Passage einen wertenden Kommentar folgen lässt, verändert automatisch die Sprechweise. Die Zurückhaltung ist überwunden, die flaue Passage fügt sich in die Gesamtkomposition ein, ohne dass ein negativer Eindruck zurückbliebe. Ganz anders wäre das, wenn die gesamte Präsentation in dem „zu privaten“ Ton erfolgte. Tut sie aber beim Helden der Steine nie.

Gelegenheiten für Neueinsätze planen und nutzen

Was soll man vom Helden abgucken? – Natürlich soll man nicht die Rolle kopieren, die er sich auf den Leib geschneidert hat und zu der die Freude am Spiel mit Worten ebenso gehört wie die Selbstdarstellung als Einzelhändler, der seiner Kundschaft möglichst viele Vorteile weitergeben will. –Wer aber dazu tendiert, die Leute mit einem gleichmäßigen Tonfall und wenig mimischer Action einzuschläfern, kann Neu-Einsätze bewusst planen.

Das klappt auch für Introvertierte

Du brauchst nicht ein Typ wie der Held zu sein. Die Chance zum Neueinsatz können auch Sprecherinnen ergreifen, die eine andere Schiene fahren.

Beispiel: Holger Wennmann, der auf seinem Kanal HWBricks ebenfalls Klemmbausteinsets präsentiert.Er stellt über eine Viertelstunde lang die Titanic von Lego vor. Seine Art ist ruhig, unaufgeregt, und viele werden das als wohltuend empfinden. Aber die Gefahr besteht, dass die Gleichförmigkeit der Stimme und die unverrückte Position von Gesicht und Oberkörper auf die Dauer den Unterhaltungswert schmälern.

Neueinsatz mit einer Geste

Dass er zu mehr Action fähig ist, beweist er bei Minute 15:50. Noch eben ist er – durchaus sympathisch – die letzten Informationen zum Preis und seiner Relation zu den kleinen Steinchen losgeworden und hat dabei auch eine eigene Unzulänglichkeit zugegeben: „Da hab’ ich jetzt nicht so den – den super äh Augenmerk draufgelegt, da hat mich einfach der Bau viel zu sehr fasziniert.“ Dabei ist seine Stimme leiser geworden, bis zu einem Flüstern. Bei den letzten Worten schaut er vor sich auf die Tischplatte. Er lächelt, aber von Blickkontakt ist keine Rede mehr.

Aber dann richtet er sich ohne Umschweife wieder auf und sagt: „So, jetzt hab’ ich aber genug gelabert…“ Dabei klatscht er in die Hände und richtet den Blick wieder voll in die Kamera. Ein Neueinsatz, verbal und nonverbal, mit dem er das Publikum wieder mitnimmt zum Schlusswort.

Neueinsatz durch Bildschnitt

Und Holger nutzt noch ein weiteres Element: den visuellen Neueinsatz durch den Schnitt. Wie der Held der Steine arbeitet auch in erster Linie am Tisch. Das Modell hat er vor sich, und eine starre Kamera ständig den Oberkörper des sitzenden Präsentators und das Modell auf der Arbeitsfläche vor ihm (hinter ihm eine Kulisse aus Lego-Boxen von Minecraft bis Ghostbusters).

Aber er arbeitet mit mehreren Einstellungen. Er hat eine weitere Kamera über dem Tisch positioniert. Damit kann er z.B. die gedruckte Anleitung zeigen, wenn er darin blättert. Hinzu kommt eine kleine Handkamera, die er nah an einzelne Teile führen kann.

Das ist der Neueinsatz durch den Schnitt. Wenn er gezielt eingesetzt ist, unterstreicht er die Gliederung im Ablauf und unterstützt die Variation in Stimme oder Mimik.

Jede Rede ist voller Chancen

Letztlich ist es immer dieselbe Regel: Sei dir bewusst, wie deine Rede aufgebaut ist. Jeder neue Abschnitt bietet die Möglichkeit zur Variation – verbal, stimmlich, visuell. Das geschieht von selbst, wenn du weißt, dass du immer wieder Neues tust: Ankündigen, erklären, kommentieren… Immer wieder eine Chance zum Neueinsatz.