Radiotipps für die Woche vom 2. bis 8. November 2015

Mahnwachen für den Frieden
Ein rechtes Projekt auf den Trümmern linker Fundamente

Von Rainer Link

Dienstag, 03.11.2015, 19:15 Uhr, DLF

Seit Beginn der Ukraine-Krise versammeln sich in ganz Deutschland jede Woche bunt zusammengewürfelte Gruppen, um für Frieden in Europa und gegen die Berichterstattung der sogenannten “Systemmedien” zu demonstrieren. Sie nennen sich Montagsmahnwachen und ähneln den Bemühungen um die Bildung einer Querfront am Ende der Weimarer Republik.

Diese Aktivisten eint das Feindbild USA, eine unkritische Nähe zum neuen russischen Antiliberalismus und die Empörung über soziale Ungerechtigkeit. Bei den Aktionen verbrüdern sich alte und neue Rechte mit ehemaligen Linken und völlig Desorientierten. Darunter Esoterikbewegte, Verschwörungstheoretiker, Warner vor Überfremdung oder der Sexualisierung der Gesellschaft, Homophobe und jede Menge Selbstdarsteller.

Sie verweigern konsequent den Kontakt zu herkömmlichen Medien. Stattdessen mobilisieren sie Öffentlichkeit über eigene professionelle Videoportale in den sozialen Netzwerken. Bei den Veranstaltungen dieser neuen Bewegung gilt das Prinzip des “Offenen Mikrofons”. So können auch Hetzbeiträge gegen Juden, Warnrufe vor der Überfremdung Deutschlands oder Lobreden auf das traditionelle deutsche Familienbild unbeanstandet verbreitet werden. Es gibt einzelne Schnittstellen zu eindeutig rechten Bewegungen wie Hogesa oder Pegida und auch zu russischen Auslandsmedien wie dem Sender Russia today.

Die Stasi war mein Eckermann oder: mein Leben mit der Wanze
Als Schriftsteller überwacht in Leipzig

Von Erich Loest

Mittwoch, 04.11.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

1990 wurden Erich Loest von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern 300 Blatt Aktenkopien angeboten, die sich als echt erwiesen. Es waren Wanzen-Berichte, die jedes Wort festhielten, das im Hause Loest gesprochen worden war.

Darüber hinaus enthielt die Akte Beschlüsse, Telegramme, Spitzelberichte und immer wieder “Informationen”, die die Telefonüberwachung der Abteilungen 26A und 26B gesammelt hatte. Die Geheimdienstdossiers zeigen, wie skrupellos auch Kollegen und Freunde über Loest berichteten. Wir senden einen Querschnitt des ursprünglich dreiteiligen Features.

Die Zeit, die noch bleibt
Auf einer Palliativstation in Heidelberg

Von Reinhard Schneider

Mittwoch, 4.11.2015, 22.03, SWR2

Zwei Wochen lang begleitete der Autor rund um die Uhr Patienten, Angehörige und das Stationspersonal einer Palliativstation in Heidelberg. Irmgard B. führte einst ein kleines Flugunternehmen, jetzt liegt sie im Sterben und singt mit einer Musiktherapeutin alte Schlager. Im benachbarten Zimmer versucht Burkhard B. die Ärzte davon zu überzeugen, seinen nahenden Tod zu beschleunigen. Die Frau eines todkranken Orchestermusikers wirkt plötzlich wie gelöst, als sie erfährt, dass ihr Mann in wenigen Tagen sterben wird. Fast keiner der Patienten hat die 14 Tage überlebt. Es waren allerdings nicht nur Kummer und Leid, die der Autor hier erlebte, sondern zugleich Hoffnung und Trost. Sterben kann unter bestimmten Bedingungen gleichsam gelingen. Die Palliativmedizin sieht im Prozess des endgültigen Entschlummerns am Ende des Lebens durchaus Gemeinsamkeiten mit dessen Beginn, der Geburt: Beides bedarf menschlicher Anteilnahme, Hilfe und Zuwendung.

Kafka unchained. Der entfesselte Kafka

Ein Hörcomic von Malgorzata Zerwe und David Zane Mairowitz

Freitag, 06.11.2015, 20:15 Uhr, DLF

Kafka? Ist Kafka komisch, oder ist das Komische daran kafkaesk? Wird Kafka gerecht, wer seine Romane als Comic präsentiert? Kommt Kafka näher, wer dessen Texte vertont, gar als Rap darbietet? Und was sagen die Schulmeister dazu?

Drei namhafte Comic-Zeichner – der US-Amerikaner Robert Crumb, die Französin Chantal Montellier und der Tscheche Jaromír Švejdík – haben Kafka erfolgreich illustriert.

Eine Band aus Prag singt den Kafka, und der junge Schwabe Tobias Stoll erfreut seinen Deutschlehrer als “Kafka Rapper”. Vor 100 Jahren, im August 1914, begann Franz Kafka, den Roman “Der Prozess” zu schreiben. Anlass für den längst überfälligen Hörcomic! Für den entfesselten Kafka, befreit vom Vorurteil des Kafkaesken!

Den Autoren zur Seite stehen weiterhin: ein Kafkaologe aus dem Senegal, der Leiter des Stuttgarter Literaturhauses, ein Kafka-Biograf – und am Rande: ein gewisser Franz Kafka – aus Salzburg!

Exil im eigenen Land
Myanmar aus der Sicht einer Rohingya-Familie

Von Mandy Fox

Samstag, 07.11.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

U Kyaw Hla Aung und seine Familie sind Rohingya. Sie leben im Westen Myanmars, wo nur selten ein Tourist hinkommt. Die Regierung bezeichnet die Rohingya als illegale Immigranten aus Bangladesh.

Der Familienvater, der 74-Jährige U Aung, setzt sich als Anwalt und Aktivist seit vielen Jahren für ein friedliches Miteinander ein. Mehrmals saß er als politischer Gefangener im Gefängnis. Auch seine Familie ist täglichen Repressionen ausgesetzt. Drei seiner Söhne haben deswegen das Land verlassen.

Das Feature erzählt die Geschichte des Landes Myanmar aus der Sicht dieser Familie und versucht zu verstehen, wie und warum ethnische Konflikte geschürt und instrumentalisiert werden.

Voodoo der Rückkehr
Hans Christoph Buch und Dany Laferrière und Haiti

Von Egon Koch

Sonntag, 08.11.2015, 14.05 Uhr, SWR2

Haiti 2015: Fünf Jahre nach dem Erdbeben und kurz nach dem Tod des Ex-Diktators “Baby Doc” Duvalier. Seit 2011 ist der Komponist und Sänger Michel Martelly Präsident. Immer noch aber ist Haiti das Armenhaus Amerikas mit der geringsten Lebenserwartung, entmündigt durch den französischen Kolonialismus, die US-amerikanische Besatzung, Blauhelmsoldaten und geschäftstüchtige Hilfsorganisationen. Dany Laferrière und Hans Christoph Buch sind Schriftsteller und Antipoden. Der eine ist Haitianer und lebt seit 1976 im kanadischen Exil. Der andere ist Deutscher und reist seit den 80er-Jahren immer wieder in das karibische Land, wo bis zum Erdbeben das Haus seines Großvaters stand. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln schildern die beiden, dass Haiti mehr ist als das Land des Elends, der alleinerziehenden Mütter und von Gewalt, Drogen und Korruption.

Jegliches hat seine Zeit
DDR-Schauspieler und –Regisseure vorn und nach der Wende

Ein Feature von Ulrich Teusch

Sonntag, 08.11.2015, 18.05 Uhr, hr2

Manfred Krug, Armin Mueller-Stahl, Angelica Domröse, Jutta Hoffmann – viele bekannte DDR-Schauspielerinnen und Schauspieler, auch Regisseure wie Egon Günther, haben ihrem Staat schon vor der Wende den Rücken gekehrt und sind in den Westen gegangen. Andere, wie Uwe Kockisch, Jaecki Schwarz oder der Regisseur Andreas Dresen, blieben bis zum Ende und konnten auch im wiedervereinten Deutschland ihre Karriere fortsetzen. Viele andere jedoch, unter ihnen etliche herausragende Künstler, haben den Umbruch 1989/90 nicht unbeschadet überstanden. Die Engagements blieben aus. Einstige Stars und Publikumslieblinge mussten sich mehr schlecht als recht durchschlagen, haben den Beruf gewechselt oder sich verbittert zurückgezogen. Im Westen des Landes sind sie kaum bekannt, ihre großen Filme drohen in Vergessenheit zu geraten. Im Feature von Ulrich Teusch erzählen DDR-Schauspieler und -Regisseure ihre Geschichte(n), berichten von ihrer künstlerischen Arbeit, auch von ihren politischen Erfahrungen vor und nach der Wende. Ein Blick zurück – ohne Zorn, ohne „Ostalgie“ und stets getragen von der Hoffnung, dass nicht alles vergebens war.

Myanmar
Oder wie wir versuchten einen Vogel zu kaufen, um ihn freizulassen

Von Wiebke Keuneke

Samstag, 07.11.2015, 13.05 Uhr, RBB/BR 2015
Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Myanmar, was ist das genau? Ein Land, in dem Buddhismus als Staatsreligion festgeschrieben ist und das mit Moslemhetze Schlagzeilen macht. Ein Land, in dem eine 70-Jährige Präsidentin werden soll und wie ein Popstar gefeiert wird. Ein Land, in dem es 135 unterschiedliche Ethnien gibt und in dem Dollarscheine nur gebügelt angenommen werden. Ein Land, in dem Touristen mit einem Heißluftballon über spektakuläre Pagodenlandschaften fahren und dabei geneigt sind, Armut mit Ursprünglichkeit zu verwechseln. Zwei Frauen reisen durch Myanmar, eine arbeitet fürs deutsche Radio, die andere ist hier geboren, ausgewandert und kehrt jetzt zurück, um für ausländische Medien über Myanmar zu berichten.

 

Radiotipps für die Woche vom 26. Oktober bis zum 1. November 2015

Die Fotografin Xiao Hui Wang”
Das Wertvolle ist wie das Licht, man kann es nicht mitnehmen”

Von Astrid Nettling

Dienstag, 23.10.2015, 20:10 Uhr, DLF

15 Jahre hat die Fotografin Xiao Hui Wang in Deutschland gelebt, entscheidende Jahre, die ihr Leben geprägt haben. Ein Schwarz-Weiß-Foto aus dieser Zeit zeigt ein Gewirr von Eisenbahnschienen, die sich kreuzen, sich vereinigen, sich wieder gabeln und in der Ferne ins Unbekannte auseinanderlaufen. Rückblickend ist dies für sie ein Bild, das die Komplexität ihres Lebens symbolisiert.

Theater und Revolution – Judith Malina

Von Grace Yoon

Mittwoch, 28.10.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Judith Malina wurde 1926 in Kiel geboren, am 10. April dieses Jahres ist sie gestorben. Grace Yoon hat sie zwei Jahre zuvor in New York besucht.
Die Mitbegründerin des legendären Living Theatre, der wahrscheinlich radikalsten und experimentierfreudigsten Theatergruppe des 20. Jahrhunderts, war überzeugte pazifistische Anarchistin. Sie studierte bei Erwin Piscator und arbeitete mit den wichtigsten Künstlern der Avantgarde. Sie hat Generationen von Künstlern inspiriert – engagiert, kämpferisch, rebellisch, eine wahre Mutter Courage. Mit 86 Jahren stand sie immer noch auf der Bühne.

Made with love in Spain
oder Vom politischen Umbruch in Spanien

Von Barbara Eisenmann

Mittwoch, 28.10.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Von einer “neuen Politik”, vor allem von neuen kollektiven Arten, Politik zu machen, ist in den letzen Jahren in Spanien viel die Rede gewesen. Seit der Besetzung der Puerta del Sol in Madrid im Jahr 2011, aus der die Bewegung 15-M entstanden ist, hat das Land sich massiv repolitisiert. Die Gesellschaft, von der Margaret Thatcher behauptete, “there is no such thing as society”, hat sich in Reaktion auf die wirtschaftliche und politische Krise organisiert und will mitregieren. Im Zentrum stehen nicht neue Parteien, sondern die Frage, wie außerhalb von Parteien in selbstorganisierten, offenen, lokalen Plattformen institutionelle Politik gemacht werden kann. Die Kommunal- und Regionalwahlen im Mai 2015 haben diesen grundlegenden Stimmungswechsel deutlich sichtbar gemacht. Gewonnen haben basisdemokratische Kandidaturen in Madrid, Barcelona und an vielen anderen Orten im Land, die eine Vielzahl von gesellschaftlichen Akteuren versammeln und die von Podemos, der neuen linken Partei, nicht angeführt, sondern bloß unterstützt worden sind. Auf die Parlamentswahlen im Herbst 2015 darf man gespannt sein.

Jadal – Kontroverse Ein Zufluchtsort in Amman

Von Christoph Burgmer

Freitag, 27.10.2015, 19:15 Uhr, DLF

Jadal ist ein Haus im Zentrum von Amman. Es gibt ein kleines Café, eine Galerie und einige Räume für Sprachkurse und Workshops. Die Macher sind ehemalige Aktivisten des Arabischen Frühlings. Ihre Vision: Räume für Initiativen, Künstler und Aktivisten zur Verfügung zu stellen, ohne die inhaltliche Kontrolle durch den jordanischen Staat oder die Abhängigkeit von privaten Geldgebern.

Himmel auf Erden
Vollkommenheit, Sport und Shitstorm

Von Thomas Palzer

Samstag, 31.10.2015, 13:05 Uhr, Bayern 2

Ende des 18. Jahrhunderts schrieb der Historiker Edward Gibbon in seiner “History of the Decline and Fall of the Roman Empire”: “Die Entwicklung eines übermäßigen, obsessiven Interesses an Sport und Berühmtheiten war einer der Faktoren des Kollapses der größten Zivilisation, die die Menschheit je gekannt hat.”
Steht die westliche Gesellschaft vor dem kulturellen Kollaps, weil die Diagnose auch auf die Gegenwart zutrifft? Wir bewegen uns jedenfalls in einer Welt, in der Sport als Körperoptimierung zur Obsession geworden ist. Erleben wir gerade die Übergangsphase von einer Welt des Geistes zu einer, in der der Körper unser Sein fest im Griff hat? Unerbittlich streben wir nach Vollkommenheit, weder für uns noch andere lassen wir Gnade gelten. Tatsächlich aber spült uns jede weitere Optimierungswelle unglücklicher an den Strand zurück, als sie uns davor hinaus aufs Meer gezogen hat. Wir erkennen, dass sich offenbar alles abschaffen lässt, nur eines nicht: die menschliche Unvollkommenheit. In unserem Narzissmus gekränkt, delegieren wir den Genuss an den Celebrity, der an unserer statt die Vollkommenheit zu personifizieren hat. Aber wehe, er wird von einem Paparazzi beim Rauchen erwischt: Dann ist ihm der Shitstorm sicher.
Thomas Palzer lässt in seiner Sendung Selbstoptimierer und Quantified Selfer, Leidtragende und Paranoide zu Wort kommen. Sowie den Philosoph Robert Pfaller, der konstatiert, dass die reichsten Bevölkerungen der Welt es verlernt haben, die Frage zu stellen, wofür es sich zu leben lohnt. Und der Sportsoziologe Günter Gebauer fragt, was in Anbetracht der allumfassenden Fußballmanie mit dem Land los ist. Verblöden wir zwischen Brot und Spielen?

Erich Loest die Probleme
Der Schriftsteller und seine “fast zweite Heimat” Osnabrück

Von Jan Decker

Samstag, 31.10.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

Die barocke Fülle deutscher Abendbrottische hat wohl keiner so schön beschrieben wie Erich Loest. Jenseits von Knackern und Brot konnte Loest, der im Februar 2016 90 Jahre alt geworden wäre, durchaus ungenießbar sein. Bärbeißig. Schonungslos direkt.
Wie kam der bekennende Sachse Erich Loest in der Friedensstadt Osnabrück zurecht, seinem ersten Wohnsitz nach der Ausreise aus der DDR, und zwischen 1981 und 1987 seine “fast zweite Heimat”? Was trieb ihn überhaupt in die “Weltprovinz” Osnabrück? Und in welchem Licht erscheint der Ur-Leipziger Loest, wenn man seinen Transit-Ort in Westniedersachsen in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt?

Nordkoreaner in Südkorea – Alltag nach der Flucht

Von Johannes Nichelmann

Sonntag, 1. November 2015, 18:05 Uhr

Eine junge Südkoreanerin trifft zum ersten Mal in ihrem Leben einen Nordkoreaner. Beim Cappuccino erfährt sie, dass der junge Mann vor einigen Jahren unter Lebensgefahr nach Südkorea geflohen ist.
Die Frau ist erstaunt über den südkoreanischen Personalausweis des Mannes. Denn immerhin kommt er aus einem Staat, mit dem sich Südkorea im Kriegszustand befindet. Etwa 30.000 Nordkoreaner leben in Südkorea. So drei Fabrikarbeiterinnen, die einen Teil ihres Gehaltes sparen, um es heimlich einmal im Jahr Verwandten im Norden zu schicken. Ein älterer Mann sendet per Kurzwelle ein Radioprogramm in seine ehemalige Heimat. Ein Kunststudent will seine Herkunft eigentlich geheim halten, doch kann er sich künstlerisch nicht ausdrücken, wenn er seine Geschichte verschweigen muss.
Für Flüchtlinge aus Nordkorea gibt es im Süden ein eigenes Wort, das wie ein Stigma wirkt: Saeteomin. Es sind Menschen, die zwischen zwei verfeindete Systeme geraten sind. Das Radiofeature begleitet sie auf ihrer Gratwanderung zwischen Integration und Isolation im Alltag in Seoul.

 

Radiotipps für die Woche vom 19. bis 25. Oktober 2015

Die Kunst des “change-ringing”
Seitensprünge im Glockenturm

Von Regina Leßner

Mitwoch, 21.10.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Die 600-jährige englische Tradition, Kirchengeläute von Hand zum Klingen zu bringen, ist bis heute ungebrochen.

“Der Seitensprung ist ein Schritt entgegen dem normalen Lauf beim einfachen Jagen”, so lautet einer der vielen nur dem Kenner zugänglichen Sätze im historischen Lehrbuch über die Kunst des Wechselläutens (change ringing). Diese 600-jährige englische Tradition, Kirchengeläute von Hand zum Klingen zu bringen, findet bis heute begeisterte Akteure in mehr als 5000 Gotteshäusern auf der Insel. Und Ringing Societies bilden immer neue Glöckner aus. In den Läutestuben der Stadt York ist die Autorin dabei, wenn mit Rad und Seil nach dem überlieferten und bis ins bizarre Detail ausgetüftelten Regelwerk geläutet wird. Sie versucht sich selbst als Glöcknerin und bekommt einen Hinweis auf den legendären Krimi “The Nine Tailors” (Der Glocken Schlag) von Dorothy L. Sayers. Von Anfang bis zum Ende ist er rätselhaft mit dem Wechselläuten verknüpft. Und tödlich.

Switch off Shanghai!
Vorbereitungen für den Cyberkrieg

Von Tom Schimmeck

Mittwoch, 21.10.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Kommt der “Cyberwar”, der elektronische Krieg? Wird er Kommunikation und Finanzsysteme, Produktion, Verkehr und die Energieversorgung ganzer Nationen lahmlegen? Die Planungen der Militärs für den “Cyberwar” sind längst im Gange. Hacker sind ihre neuen Generäle. Schon heute greifen sie in staatlichem Auftrag die Computersysteme ausländischer Regierungen und Konzerne an. Ihr Ziel: Spionage und Sabotage. Die USA fürchten “Hackereinheiten” aus China, die ihre hoch vernetzte militärische und industrielle Infrastruktur lahmlegen könnten. Im Oktober 2014 erklärte FBI-Chef James Comey, China führe bereits einen “aggressiven Cyberkrieg” gegen die USA, der das Land jährlich Milliarden koste. Das “US Cyber Command” hat seit 2011 den Befehl zur “proaktiven Verteidigung” der Nation. Und auch Konzerne hacken längst zurück.

Systemwechsel
Nordkoreaner in Südkorea

Von Johannes Nichelmann

Samstag, 24.10.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

Eine junge Südkoreanerin trifft zum ersten Mal in ihrem Leben einen Nordkoreaner. Beim Cappuccino erfährt sie, dass der junge Mann vor einigen Jahren unter Lebensgefahr geflohen ist. Sie ist überrascht: Er hat einen südkoreanischen Personalausweis, obwohl er aus einem Staat kommt, mit dem sich Südkorea im Kriegszustand befindet.

Ein älterer Mann sendet per Kurzwelle ein Radioprogramm in seine ehemalige Heimat. Ein Kunststudent will seine Herkunft geheim halten, doch er kann nicht künstlerisch arbeiten, wenn er seine Geschichte verschweigen muss. Etwa 30 000 Nordkoreaner leben in Südkorea. Für Flüchtlinge aus Nordkorea gibt es im Süden ein eigenes Wort, das wie ein Stigma wirkt: Saeteomin, d.h. “Mensch aus Nordkorea, der an einem neuen Wohnplatz sein Leben wieder anfängt”.

Das Feature begleitet diese Menschen auf ihrer Gratwanderung zwischen Integration und Isolation im Alltag in Seoul.

“Ich bluffe nie!”
Die Minimalisierung des Glücksfaktors

Von Annett Krause und Matthias Hilke

Sonntag, 25.10.2105, 14.05 Uhr, SWR2

Er denkt, dass ich denke, dass er denkt … – So geht das. Beim Poker. Poker gilt in Deutschland als Glücksspiel. Weshalb es nicht ohne weiteres erlaubt ist. Aber wenn man damit Geld verdient, meldet sich das Finanzamt trotzdem. Und wenn man Geld verliert? Der Poker-Protagonist in diesem Feature bleibt jedenfalls lieber anonym. Er ist jung und er lebt in Berlin. Bei einem Pokerturnier in Las Vegas hat er einmal viel gewonnen. Sehr viel. Jetzt will er bei einem Turnier in Prag gewinnen. Möglichst viel. Ob ihm das gelingt? Mit Glück? Oder doch mit Geschick? Oder muss er weiterträumen – von einer Karriere als Poker-Professor an einer Fakultät, die noch erfunden werden muss?

 

Radiotipps für die Woche vom 12. bis 18. Oktober 2015

Blind in einer Welt der Zeichen
Ein Analphabet auf Jobsuche

Dienstag, 13.10.2015, 19.15 Uhr, DLF

Von Dominik Bretsch

Kay ist Mitte 30 und funktionaler Analphabet, einer von 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht lesen und schreiben können. Zeitungen, Behördentexte, Bücher, das Internet – undurchdringliche semantische Dschungel. Irgendwann haben Menschen wie er aufgegeben und sich in einer Nische versteckt. Kay aber will kämpfen.
Für sich und für seine vier Kinder. Ihnen will er eine gute Zukunft ermöglichen, ein Vorbild sein. Zwei Jahre lang macht Kay einen Grundbildungskurs bei einem Berliner Förderverein. Er wird selbstbewusster, gründet eine Selbsthilfegruppe, lernt mit Rückschlägen umzugehen. Doch Kay will mehr: einen Job, um seine Familie durchzubringen.
Aber reichen seine Fähigkeiten, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen? Welche Chancen bietet unsere Gesellschaft einem Menschen wie ihm?

Talo-maalla – Ein Haus auf dem Land

Von Harri Huhtamäki

Mittwoch, 14.10.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen viele Finnen auf der Suche nach Arbeit in die Städte, andere – in ihren Sommerferien – aufs Land. Die Tradition der Landhauskultur in den Ländern des Nordens ist lang. Sie spiegelt Geschichte und die Werte unserer modernen Gesellschaft wider.
Ein Sommerhaus auf dem Land zu besitzen bedeutet: Rückkehr in die Kindheit, Urlaubsstimmung und Nähe zur Natur. Die Sendung, original für ”Radio Atelier” des finnischen Rundfunks produziert, arbeitet mit Soundscapes und Stimmen. Sie stehen gleichwertig nebeneinander.

Mit Kohle in die Zukunft?
Südafrika, der Klimawandel und die Rolle Deutschlands

Von Birgit Morgenrath

Mittwoch, 14.10.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Tausende Menschen ziehen jährlich nach Witbank und hoffen dort auf Arbeit. Sie leben in provisorischen Siedlungen inmitten der Halden – wo jedes Lebewesen die schmutzig graue Farbe der Kohle annimmt. Die Umgebung ist verwüstet. Saure Abwässer gelangen ins Grundwasser und in die Flüsse des ohnehin wasserarmen Südafrika. Seit Jahren protestieren Bürgerinitiativen und NGOs gegen diese Zustände.
Aber die Regierung beschließt lediglich umweltfreundliche Programme und bleibt ansonsten untätig. Auch Deutschland bezieht Steinkohle aus Südafrika. Darum fordern hierzulande umweltbewusste Bürger von den Stromkonzernen mehr Transparenz im Rohstoff-Sektor und “saubere” Lieferketten.

Ich roll mit meinem Besten
Der lange Weg zur Disko oder 60 Kilometer Landstraße

Von Sammy Khamis

Samstag, 17.10.2015,13:05 Uhr, BR2
Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Der “krass idyllische” Dorfplatz im niederbayerischen Dorfen: Eine Kirche, zwei Springbrunnen, zwei Bänke. Hier trifft sich die Landjugend, um Ladys anzuschauen und per Benz ins Wochenende zu starten. Für eine Diskonacht fahren Pascal, Ender, Safer, Atakan und der Rest ihrer Clique oft meilenweit.
Dort, wo die A94 noch Bundesstraße ist, nennen die Menschen sie nur “die Todesstrecke”. Es gibt Straßenabschnitte, an denen die Polizei verbietet, Gedenkkreuze aufzustellen. Der Grund: es gäbe dann mehr Kreuze als Begrenzungspfosten.
Und dann gibt es da die Diskothek. Ein paar Minuten abseits der B12 treffen sich freitags und samstags Jugendliche aus der ganzen Region. Einlass ist ab 21 Uhr, ab 22:30 gesellen sich Wodka-Bull und Technobeats zur aufgekratzten Wochenendstimmung. In der Rauchpause wird das Männerbild der aufgeklärten Frau genauso diskutiert wie Tanzen ohne Anfassen oder das Konzept Treue.
Doch bevor es zu philosophisch wird, setzen meist Euphorie und Rausch ein. Und irgendwann die Erkenntnis, dass es jetzt auch schon zu spät ist, nüchtern nach Hause zu fahren. Vielleicht ja nächstes Wochenende.

Selbstmord in der Öffentlichkeit
Der brennt!
Das Fanal des Kaveh Yazdani

Von Egon Koch

Samstag, 17.10.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

Im Februar 2014 steht mitten in Tübingen ein Mann in Flammen und stirbt an den Folgen seiner Verletzungen. Wer ist er gewesen? Weshalb hat sich der Exil-Iraner derart qualvoll getötet? Wollte er mit seiner Selbstverbrennung ein politisches Zeichen setzen?
Wenn ja, weshalb dann ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als er nach 10 Jahren als Flüchtling in Deutschland endlich eine Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis bekommt? Seine Freunde, sein Mitbewohner, sein Anwalt und vor allem der Mann, der Kaveh Yazdani brennen sah, sie alle suchen nach Antworten.

 

Radiotipps für die Woche vom 5. bis 11. Oktober 2015

Eine Al-Kaida-Geisel erzählt
“Was will dieses Grau’n bedeuten?”

Von Susanne Sporrer und Klaus Heymach

Dienstag, 06.Oktober 2015, 19.15 Uhr, DLF

Eigentlich wollte Theo Padnos nur ein paar Tage im syrischen Rebellengebiet recherchieren. Doch dann fällt der amerikanische Autor in die Hände der Dschihadisten: der Beginn eines 22 Monate dauernden Martyriums. Die Kämpfer der Al-Nusra-Front, einem Ableger von Al Kaida, foltern Theo Padnos und geben vor, ihn hinzurichten.
Die ersten Wochen verbringt der 46-Jährige verzweifelt und von Selbstvorwürfen gequält auf dem Boden seiner Kellerzelle kauernd. Doch nach und nach entwickelt der Literaturwissenschaftler Überlebensstrategien und versucht, die Gedankenwelt seiner Peiniger zu verstehen. Theo Padnos gewinnt Einblicke in die Wirren des syrischen Bürgerkriegs und den Alltag der Dschihadisten und beginnt noch in der Geiselhaft damit, seine Einsichten und die Todesangst literarisch zu bearbeiten.

Lebensbilanz einer Bäuerin
“Ich habe alles falsch gemacht”

Von Angelika Perl

Mittwoch, 07.Oktober 2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Frieda H., Jahrgang 1909, Bauernkind aus einem Dorf im heutigen Polen – eines von Zwölfen. Eigentlich wollte sie frei und ungebunden sein, einen Beruf erlernen, reisen. Doch sie wird Dienstmädchen, bringt drei Kinder allein durch die Wirren des Krieges.
Später in der DDR geht sie aufs Feld, arbeitet in einem Materiallager der Bahn. 1989, ihr Mann ist schon Jahre tot, lebt Frieda noch immer in dem Häuschen, das sie – 55-jährig – in der sozialistischen Mangelwirtschaft gebaut hat. Grund und Boden gehören ihr nicht und so stehen kurz nach der Wende Erben aus dem Westen vor der Gartentür. Sie hätte gern ein anderes Leben gelebt: “Ich habe alles falsch gemacht, aber ich bereue nichts!”.

Heimat Königskinder
Eine Familiengeschichte zwischen Togo und Deutschland

Von Michael Weisfeld

Mittwoch, 07.Oktober 2015, 22:03 Uhr, SWR2

Bassirou Ayéva ist ein Prinz und ein Dichter. In seinem früheren Leben war er Feuilleton-Chef der größten Zeitung seines Heimatlandes Togo. Als Anfang der 1990er eine demokratische Revolte gegen die Militärdiktatur losbrach, war Ayéva einer der Anführer. Die Diktatur siegte, der Prinz floh nach Deutschland.
In Bremen wurde er Sozialarbeiter in einem Flüchtlingsheim für unbegleitete Jugendliche. Die meisten kommen wie er aus Westafrika. Jedes Jahr kehrt der Prinz in die togolesische Provinz zurück und veranstaltet ein Festival, das Musik und Tänze seines Volkes wiederbeleben soll. Heimkehren will er dennoch nicht. Seine sechs Kinder leben in Europa und fragen sich, was Heimat ist.

Rennbahn Hoppegarten
Der Jockey

Von Tim Staffel

Freitag, 09. Oktober 2015, 20:10 Uhr, DLF

Ein Renntag auf der Galopprennbahn in Hoppegarten – Hauptakteure sind die Pferde, die Jockeys. Dahinter stehen die Trainer, Pferdepfleger, Besitzer. Und da ist das Publikum, das wettet oder einfach nur vor den Tribünen picknickt und zuschaut. Ursprünglich ein Wettbewerb der Selektion, um die besten Pferde zur Zucht herauszufiltern, dann der Sport der Könige. Sind Galopprennen mittlerweile ein Spiel für jedermann geworden?
Was ist so faszinierend daran? Wie sieht der Alltag eines Jockeys, eines Trainers aus? Dennis ist der Jockey, mit 57 Kilo schon fast zu schwer, aber einer der Besten. Fünf Stunden täglich trainiert er mit Pferden, daneben studiert er, an den Wochenenden reist er von Rennbahn zu Rennbahn. Uwe ist der Trainer, der Tiere lieber mag als Menschen und seit fast 40 Jahren mit dem Rennsport in Hoppegarten verbunden ist. Was treibt die beiden zu ihrem rastlosen Leben an?
Das Feature zieht den Hörer akustisch in den Bann des Galopprennsports. Erzählt wird die Geschichte, wie es zum Moment des Rennens kommt. Dann die letzten Anweisungen der Trainer im Jockeyraum. Annahmeschluss am Wettschalter. Der Startschuss – Absprung – und schließlich das Finish auf der Zielgeraden, das alle verbindet, ob Sieg oder Niederlage, egal welcher Herkunft.

“Und erhalte dir die Farben …”
Vom schwierigen Umgang mit der bayerischen Heimat

Von Thies Marsen

Samstag, 10. Oktober 2015, 13:05 Uhr, BR2
Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

“Heimat” – nur die deutsche Sprache kennt einen solchen Begriff, der die unglaubliche Faszination des Einzelnen zu einem Landstrich, seinen Menschen und seiner Kultur beschreibt. Derzeit erlebt der Begriff “Heimat” eine Renaissance in Politik, Kultur und Gesellschaft – als Bekenntnis zur eigenen Herkunft in Abgrenzung zur Globalisierung.
Keine bayerische Partei, die nicht als “Heimatpartei” gelten will; die CSU-Staatsregierung installierte sogar – als einziges Bundesland – eine neues “Heimatministerium”, welches heute nach einem Jahr, manchmal als “Heimatmysterium” verspottet wird.
Heimatsound und New Bavarian Folk Music erobern die Bühnen und Radiosender, junge Leute lassen sich Brezn tätowieren und tragen Tracht nicht nur zur Wiesn-Zeit. Und das alles in einer Zeit, da der Begriff Heimat zunehmend inhaltslos zu werden scheint. Frühere Bindungen zu Vereinen, Dorfgemeinschaften oder zur Religion lösen sich auf; die Zersiedelung der Landschaft nimmt ungebremst ihren Lauf.
“Gott mit dir, du Land der Autobahnen, Umgehungsstraßen, Kreisverkehren, Gewerbegebieten, Einfamilienhaussiedlungen und Mais-Monokulturen….” möchte der Spötter rufen.
Heimat, das bedeutet im schlimmsten Fall auch Provinz, Beschränkung des Blickfelds, Suhlen im eigenen Sumpf und den Ausschluss all der anderen, die angeblich nicht dazu gehören – der Zugezogenen, der Migranten, der Flüchtlinge, die zu uns kommen, um eine neue Heimat zu finden.
Das Feature “Und erhalte dir die Farben…” macht sich auf Spurensuche nach einem modernen Heimatbegriff, nach Vielfalt in “weiten Gauen” und “Städte Bau” und nach der Großschreibung, der in der Bayernhymne festgeschrieben Farben: “Weiß” als Symbol für Reinheit und Anstand und “Blau” für die Treue.

Die Krankheit, die es nicht gibt – BoNT

Von Nora Bauer

Samstag, 10.Oktober 2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

BoNT steht für Botulinum Neurotoxin, ein Nervengift, Stoffwechselprodukt der Bakterienspezies Clostridium Botulinum. Die Autorin folgt seiner Spur.
Sie geht auf Bauernhöfe, wo seit einigen Jahren Hochleistungsmilchkühe erkranken – auch Menschen haben sich schon angesteckt. Sie besucht Veterinärmediziner und Toxikologen, die das Bakterium als Ursache vermuten: Es wird mit der Nahrung aufgenommen, vermehrt sich im Darm und produziert dort sein tödliches Gift.
Schließlich befragt sie Aufsichtsbehörden, denen der Verdacht auf chronischen Botulismus gemeldet wird. Doch für die Behörde existiert die Krankheit nicht. Auf einmal geht es nicht bloß um Kühe: Gärreste aus Biogasanlagen, die auf die Böden als Dünger ausgebracht werden, stehen im Verdacht, kontaminiert zu sein.

Mein Großer Bruder bin ich
Die Selbstvermesser

Von Ulrich Land

Sonntag, 11.Oktober 2015, 14:05 Uhr, SWR2

Sie messen hautnah, werten Daten übers Netz aus. Schritte, Puls, Gewicht, Schlafrhythmen. Alles optimal kontrolliert für die persönliche Optimierung. Jeder ein Big Brother seiner selbst durch digitale Selbstvermessung. Seit Handys und Smartphones die Armbanduhr überflüssig gemacht und eine kostbare Fläche freigeräumt haben, ist ein Konkurrenzkampf um den Platz am Ende des Arms entbrannt, der jetzt von Highthechgerätschaften zur Vermessung der “Vitalwerte” besetzt wird. Was aber gewinnen wir durch das fortlaufende Self-Controlling? Und was tun wir uns damit an? Sich selbst stalkende Nerds sind begeistert, Krankenkassen wittern Kostenersparnis, Datenschützer und Soziologen kommen ins Grübeln. Und Descartes sieht sein mechanistisches Menschenbild am Horizont wieder aufleuchten.

Der Literaturarchipel –
Erkundungen in Indonesien

Von Silke Behl

Sonntag, 11. Oktober 2015, 18:05 Uhr, hr2

Der ehemalige Lehrer Muhammad Ridwan sitzt auf seinem Boot, das er zu einer schwimmenden Bibliothek mit ca. 3000 Büchern umfunktioniert hat und mit dem er die der indonesischen Insel Sulawesi vorgelagerten kleinen Eilande ansteuert.
Tanah Air – Wasserland – sagen die Indonesier, wenn sie Heimat meinen. 17.500 Inseln umfasst das Land und Hunderte von Kulturen. Ein riesiger Archipel, zusammengehalten nicht zuletzt durch eine gemeinsame Sprache: Einheit war das Gebot der Stunde, als das Land um seine Unabhängigkeit von der niederländischen Kolonialmacht kämpfte.
Mittlerweile ist die Nation erwachsen geworden. Zwischen Papua und Sumatra blicken die Menschen zurück, erinnern sich für die Zukunft und fragen: was wurde gewonnen, was ging verloren? Gerade die Literatur erzählt von der Vielfalt, vom zähen Ringen um die Traditionen des Inselreichs und von den Opfern, die der moderne Staat forderte. Sie gibt uns ein Bild von einer fernen Weltgegend, in der Extreme aufeinander prallen wie nirgendwo sonst. Autorinnen und Autoren aus allen Ecken des Archipels kommen in diesem Feature zu Wort. Sie bringen eine Realität zur Sprache, die alles andere als romantisch ist und vermitteln sie mit ungewöhnlich schönen Formen des literarischen Ausdrucks.