Radiotipps für die Woche vom 5. bis 11. Oktober 2015

Eine Al-Kaida-Geisel erzählt
“Was will dieses Grau’n bedeuten?”

Von Susanne Sporrer und Klaus Heymach

Dienstag, 06.Oktober 2015, 19.15 Uhr, DLF

Eigentlich wollte Theo Padnos nur ein paar Tage im syrischen Rebellengebiet recherchieren. Doch dann fällt der amerikanische Autor in die Hände der Dschihadisten: der Beginn eines 22 Monate dauernden Martyriums. Die Kämpfer der Al-Nusra-Front, einem Ableger von Al Kaida, foltern Theo Padnos und geben vor, ihn hinzurichten.
Die ersten Wochen verbringt der 46-Jährige verzweifelt und von Selbstvorwürfen gequält auf dem Boden seiner Kellerzelle kauernd. Doch nach und nach entwickelt der Literaturwissenschaftler Überlebensstrategien und versucht, die Gedankenwelt seiner Peiniger zu verstehen. Theo Padnos gewinnt Einblicke in die Wirren des syrischen Bürgerkriegs und den Alltag der Dschihadisten und beginnt noch in der Geiselhaft damit, seine Einsichten und die Todesangst literarisch zu bearbeiten.

Lebensbilanz einer Bäuerin
“Ich habe alles falsch gemacht”

Von Angelika Perl

Mittwoch, 07.Oktober 2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Frieda H., Jahrgang 1909, Bauernkind aus einem Dorf im heutigen Polen – eines von Zwölfen. Eigentlich wollte sie frei und ungebunden sein, einen Beruf erlernen, reisen. Doch sie wird Dienstmädchen, bringt drei Kinder allein durch die Wirren des Krieges.
Später in der DDR geht sie aufs Feld, arbeitet in einem Materiallager der Bahn. 1989, ihr Mann ist schon Jahre tot, lebt Frieda noch immer in dem Häuschen, das sie – 55-jährig – in der sozialistischen Mangelwirtschaft gebaut hat. Grund und Boden gehören ihr nicht und so stehen kurz nach der Wende Erben aus dem Westen vor der Gartentür. Sie hätte gern ein anderes Leben gelebt: “Ich habe alles falsch gemacht, aber ich bereue nichts!”.

Heimat Königskinder
Eine Familiengeschichte zwischen Togo und Deutschland

Von Michael Weisfeld

Mittwoch, 07.Oktober 2015, 22:03 Uhr, SWR2

Bassirou Ayéva ist ein Prinz und ein Dichter. In seinem früheren Leben war er Feuilleton-Chef der größten Zeitung seines Heimatlandes Togo. Als Anfang der 1990er eine demokratische Revolte gegen die Militärdiktatur losbrach, war Ayéva einer der Anführer. Die Diktatur siegte, der Prinz floh nach Deutschland.
In Bremen wurde er Sozialarbeiter in einem Flüchtlingsheim für unbegleitete Jugendliche. Die meisten kommen wie er aus Westafrika. Jedes Jahr kehrt der Prinz in die togolesische Provinz zurück und veranstaltet ein Festival, das Musik und Tänze seines Volkes wiederbeleben soll. Heimkehren will er dennoch nicht. Seine sechs Kinder leben in Europa und fragen sich, was Heimat ist.

Rennbahn Hoppegarten
Der Jockey

Von Tim Staffel

Freitag, 09. Oktober 2015, 20:10 Uhr, DLF

Ein Renntag auf der Galopprennbahn in Hoppegarten – Hauptakteure sind die Pferde, die Jockeys. Dahinter stehen die Trainer, Pferdepfleger, Besitzer. Und da ist das Publikum, das wettet oder einfach nur vor den Tribünen picknickt und zuschaut. Ursprünglich ein Wettbewerb der Selektion, um die besten Pferde zur Zucht herauszufiltern, dann der Sport der Könige. Sind Galopprennen mittlerweile ein Spiel für jedermann geworden?
Was ist so faszinierend daran? Wie sieht der Alltag eines Jockeys, eines Trainers aus? Dennis ist der Jockey, mit 57 Kilo schon fast zu schwer, aber einer der Besten. Fünf Stunden täglich trainiert er mit Pferden, daneben studiert er, an den Wochenenden reist er von Rennbahn zu Rennbahn. Uwe ist der Trainer, der Tiere lieber mag als Menschen und seit fast 40 Jahren mit dem Rennsport in Hoppegarten verbunden ist. Was treibt die beiden zu ihrem rastlosen Leben an?
Das Feature zieht den Hörer akustisch in den Bann des Galopprennsports. Erzählt wird die Geschichte, wie es zum Moment des Rennens kommt. Dann die letzten Anweisungen der Trainer im Jockeyraum. Annahmeschluss am Wettschalter. Der Startschuss – Absprung – und schließlich das Finish auf der Zielgeraden, das alle verbindet, ob Sieg oder Niederlage, egal welcher Herkunft.

“Und erhalte dir die Farben …”
Vom schwierigen Umgang mit der bayerischen Heimat

Von Thies Marsen

Samstag, 10. Oktober 2015, 13:05 Uhr, BR2
Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

“Heimat” – nur die deutsche Sprache kennt einen solchen Begriff, der die unglaubliche Faszination des Einzelnen zu einem Landstrich, seinen Menschen und seiner Kultur beschreibt. Derzeit erlebt der Begriff “Heimat” eine Renaissance in Politik, Kultur und Gesellschaft – als Bekenntnis zur eigenen Herkunft in Abgrenzung zur Globalisierung.
Keine bayerische Partei, die nicht als “Heimatpartei” gelten will; die CSU-Staatsregierung installierte sogar – als einziges Bundesland – eine neues “Heimatministerium”, welches heute nach einem Jahr, manchmal als “Heimatmysterium” verspottet wird.
Heimatsound und New Bavarian Folk Music erobern die Bühnen und Radiosender, junge Leute lassen sich Brezn tätowieren und tragen Tracht nicht nur zur Wiesn-Zeit. Und das alles in einer Zeit, da der Begriff Heimat zunehmend inhaltslos zu werden scheint. Frühere Bindungen zu Vereinen, Dorfgemeinschaften oder zur Religion lösen sich auf; die Zersiedelung der Landschaft nimmt ungebremst ihren Lauf.
“Gott mit dir, du Land der Autobahnen, Umgehungsstraßen, Kreisverkehren, Gewerbegebieten, Einfamilienhaussiedlungen und Mais-Monokulturen….” möchte der Spötter rufen.
Heimat, das bedeutet im schlimmsten Fall auch Provinz, Beschränkung des Blickfelds, Suhlen im eigenen Sumpf und den Ausschluss all der anderen, die angeblich nicht dazu gehören – der Zugezogenen, der Migranten, der Flüchtlinge, die zu uns kommen, um eine neue Heimat zu finden.
Das Feature “Und erhalte dir die Farben…” macht sich auf Spurensuche nach einem modernen Heimatbegriff, nach Vielfalt in “weiten Gauen” und “Städte Bau” und nach der Großschreibung, der in der Bayernhymne festgeschrieben Farben: “Weiß” als Symbol für Reinheit und Anstand und “Blau” für die Treue.

Die Krankheit, die es nicht gibt – BoNT

Von Nora Bauer

Samstag, 10.Oktober 2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

BoNT steht für Botulinum Neurotoxin, ein Nervengift, Stoffwechselprodukt der Bakterienspezies Clostridium Botulinum. Die Autorin folgt seiner Spur.
Sie geht auf Bauernhöfe, wo seit einigen Jahren Hochleistungsmilchkühe erkranken – auch Menschen haben sich schon angesteckt. Sie besucht Veterinärmediziner und Toxikologen, die das Bakterium als Ursache vermuten: Es wird mit der Nahrung aufgenommen, vermehrt sich im Darm und produziert dort sein tödliches Gift.
Schließlich befragt sie Aufsichtsbehörden, denen der Verdacht auf chronischen Botulismus gemeldet wird. Doch für die Behörde existiert die Krankheit nicht. Auf einmal geht es nicht bloß um Kühe: Gärreste aus Biogasanlagen, die auf die Böden als Dünger ausgebracht werden, stehen im Verdacht, kontaminiert zu sein.

Mein Großer Bruder bin ich
Die Selbstvermesser

Von Ulrich Land

Sonntag, 11.Oktober 2015, 14:05 Uhr, SWR2

Sie messen hautnah, werten Daten übers Netz aus. Schritte, Puls, Gewicht, Schlafrhythmen. Alles optimal kontrolliert für die persönliche Optimierung. Jeder ein Big Brother seiner selbst durch digitale Selbstvermessung. Seit Handys und Smartphones die Armbanduhr überflüssig gemacht und eine kostbare Fläche freigeräumt haben, ist ein Konkurrenzkampf um den Platz am Ende des Arms entbrannt, der jetzt von Highthechgerätschaften zur Vermessung der “Vitalwerte” besetzt wird. Was aber gewinnen wir durch das fortlaufende Self-Controlling? Und was tun wir uns damit an? Sich selbst stalkende Nerds sind begeistert, Krankenkassen wittern Kostenersparnis, Datenschützer und Soziologen kommen ins Grübeln. Und Descartes sieht sein mechanistisches Menschenbild am Horizont wieder aufleuchten.

Der Literaturarchipel –
Erkundungen in Indonesien

Von Silke Behl

Sonntag, 11. Oktober 2015, 18:05 Uhr, hr2

Der ehemalige Lehrer Muhammad Ridwan sitzt auf seinem Boot, das er zu einer schwimmenden Bibliothek mit ca. 3000 Büchern umfunktioniert hat und mit dem er die der indonesischen Insel Sulawesi vorgelagerten kleinen Eilande ansteuert.
Tanah Air – Wasserland – sagen die Indonesier, wenn sie Heimat meinen. 17.500 Inseln umfasst das Land und Hunderte von Kulturen. Ein riesiger Archipel, zusammengehalten nicht zuletzt durch eine gemeinsame Sprache: Einheit war das Gebot der Stunde, als das Land um seine Unabhängigkeit von der niederländischen Kolonialmacht kämpfte.
Mittlerweile ist die Nation erwachsen geworden. Zwischen Papua und Sumatra blicken die Menschen zurück, erinnern sich für die Zukunft und fragen: was wurde gewonnen, was ging verloren? Gerade die Literatur erzählt von der Vielfalt, vom zähen Ringen um die Traditionen des Inselreichs und von den Opfern, die der moderne Staat forderte. Sie gibt uns ein Bild von einer fernen Weltgegend, in der Extreme aufeinander prallen wie nirgendwo sonst. Autorinnen und Autoren aus allen Ecken des Archipels kommen in diesem Feature zu Wort. Sie bringen eine Realität zur Sprache, die alles andere als romantisch ist und vermitteln sie mit ungewöhnlich schönen Formen des literarischen Ausdrucks.