Radiotipps für die Woche vom 6. bis 12. Oktober 2014

Dadaab
Anatomie eienr Lagergesellschaft in Kenia

Von Bettina Rühl

Dienstag, 07.10.2104, 19.15 Uhr, DLF

In den Flüchtlingslagern von Dadaab, nahe der kenianisch-somalischen Grenze, leben rund 350.000 Menschen. Sie sind vor dem Bürgerkrieg im benachbarten Somalia geflohen, einige schon vor mehr als 20 Jahren.

Weil sich Islamisten aus Somalia unter die Flüchtlinge mischen, sind in den Augen der kenianischen Regierung alle Bewohner potenziell gefährlich. Morde und Vergewaltigungen gehören zum Lageralltag, Fahrten zu den fünf Camps, aus denen der Komplex Dadaab besteht, finden nur mit bewaffneten Eskorten statt, die Flüchtlinge sind praktisch interniert und auf eine spärliche Grundversorgung durch das UN-Flüchtlingshilfswerk angewiesen. Obwohl alle mit etwa gleich leeren Händen hierhergekommen sind, hat sich im Lager eine soziale Differenzierung entwickelt.

Es gibt Erfolgsgeschichten wie die des 47-jährigen Bashir Ahmed Bihi, der zu einem erfolgreichen Geschäftsmann wurde, eine Sekundarschule aufbaute und Wahlen zur Lagervertretung einführte. Andere resignieren schon im Kindesalter und ziehen sich mit ihrer Angst vor Gewalt und dem ständig drohenden Tod in sich zurück.

Schicksal Lampedusa in Tel Aviv

Von Christian Buckard

Freitag, 10. Oktober 2014, 20.10 Uhr, DLF

Israel ist der einzige westliche Staat, der direkt an Afrika grenzt. Seit 2006 haben sich zehntausende Afrikaner, vor allem aus Darfur und Eritrea, auf den Weg in den Sinai gemacht, um von dort die Grenze nach Israel zu überqueren.

Viele von ihnen wurden während der Flucht in die grausamen Folterlager des Sinai entführt, andere durch Schüsse ägyptischer Soldaten verletzt. Wer die Reise überlebte, strandete im Süden Tel Avivs, wo die ärmliche Bevölkerung gegen die Flüchtlinge rebelliert und die Politiker mit Abschiebung drohen. Jetzt ist auch die Grenze abgeriegelt, die Gesetze gegen die illegalen “Eindringlinge” wurden verschärft. Ihr Schicksal bleibt ungewiss.

Das Hacker-Syndrom

Von Johannes Nichelmann

Samstag, 11. Oktober 2014, 13.05 Uhr, Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr, Bayern2

Während der Konflikte des arabischen Frühlings saß Stephan Urbach wochenlang vor seinem Computer in Berlin. Von dort aus unterstützte er per Mausklick die Opposition in Ägypten und Syrien, lud Videos von Demonstrationen ins Netz. Als Teil einer Hackergruppe lieferte er die digitale Infrastruktur, mit der Demonstranten in Krisengebieten Informationen im Netz veröffentlichen können – oft 20 Stunden am Tag, denn das entgegengebrachte Vertrauen verpflichtet. Doch dann wird Urbach selbst zum Opfer seines digitalen Kampfes für Informationsfreiheit. Zu krass sind die Bilder auf seinem Desktop, die Berichte von Freunden, die er noch nie persönlich getroffen hat. Ausgebrannt und depressiv will er sich mit Anfang 30 das Leben nehmen. Statt der Welt zu helfen, braucht er selbst Hilfe und stellt fest, dass er nicht der Einzige ist.

Friederike Mayröcker

Von Carmen Tartarotti und Ferdinand Ludwig

Samstag, 11. Oktober 2014, 18.05 Uhr, DR Kultur

Die medienscheue Grande Dame der österreichischen Literatur, Friederike Mayröcker, hat der Filmemacherin Carmen Tartarotti über einen langen Zeitraum hinweg den Zugang zu ihrem Dichtergehäuse und die Aufnahme von Tonbandgesprächen gewährt.

In dem dabei zutage geförderten Monolog spricht die Schriftstellerin in freier Assoziation: über ihre Kindheit, die ungeliebte Berufstätigkeit als Englischlehrerin, die Beziehung zu den Eltern, vor allem zur Mutter, über Ernst Jandl, über Kunst und Musik. Das Feature lebt von der monoton-melodiösen Stimme Mayröckers, von ihren Sentenzen, Paradoxien, Reflexionen und scheinbar unspektakulären Beobachtungen.

Pathologien der Freiheit
Der Neoliberalismus, das Internet und wir

Von Roman Herzog

Sonntag, 11. Oktober 2014, 14.05 Uhr, SWR2

Seit den Enthüllungen Edward Snowdens wird allenthalben für die Freiheit des Internets gestritten. Aber was ist das für eine Freiheit, und wie ist das Internet zu dem geworden, was es heute ist? “Pathologien der Freiheit” zeichnet den kritischen Netzdiskurs nach von den 1980er-Jahren bis heute und zeigt, wie im zweiten Anlauf aus der Asche der Dot-Com-Krise und der Twin Towers das neoliberale Internet entsteht, in dem heute Staaten, Geheimdienste und Unternehmen eine lückenlose Kalkulation und Kontrolle der Individuen und Bevölkerung anstreben. Michel Foucault hatte schon in den 1970er-Jahren mit seinen Analysen des Neoliberalismus gezeigt, welche Kontrollgesellschaft sich abzeichnet und wie wir selbst durch unser aktives Mitwirken dem System zum Erfolg verhelfen, indem wir uns als selbstoptimierte Subjekte schaffen. Genau damit geben wir den Unternehmen und Geheimdiensten erst die Möglichkeit, uns in einer Freiheitsfalle gefangen zu halten.

Verlorene Denker

Sonntag, 19. Oktober 2014, 18:05 Uhr, hr2-kultur

Die Universität residiert heute an einem der Tatorte des Nationalsozialismus: dem IG-Farben-Gebäude.

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen hatten, mussten weit mehr als 100 Wissenschaftler die Frankfurter Universität verlassen – aus politischen Gründen, oder weil sie Juden waren.

Einige konnten ihre Karrieren im Exil fortsetzen, für andere brach die wissenschaftliche Laufbahn jäh ab. Auch die Erinnerung an viele von Ihnen ist bis heute verlorengegangen. Studenten des historischen Seminars der Goethe-Universität sind den Lebenswegen einiger dieser Professoren nachgegangen. Die Recherchen haben Verborgenes wieder zu Tage gefördert: Dokumente und andere Fundstücke, mit denen sich die Biografien der “Verlorenen Denker”, von Frankfurter Professoren der Physik, der Chemie, der Mathematik, der Kunst und der Psychologie wieder nacherzählen lassen. Ein Projekt von hr2-kultur in Kooperation mit der Goethe-Universität anlässlich ihrer Gründung vor 100 Jahren.