Radiotipps für die Woche vom 25. April bis 1. Mai 2016

“Die Vergesslichkeit, die wir haben”
Leben mit Demenz

Von Egon Koch

Mittwoch, 27.04.2016, 22:03 Uhr, SWR2

Drei Männer, die die Diagnose Demenz erhalten haben, erzählen vom Leben mit ihrer Krankheit. Sie gehören zu den rund 1,5 Millionen Menschen, die derzeit in Deutschland an dieser Krankheit leiden. Bis 2050 wird ein Anstieg auf 3 Millionen erwartet. Wie erleben die Erkrankten sich und ihre Demenz? Wie kommen sie mit Diagnose und Stigmatisierung, Vergesslichkeit und Verunsicherung zurecht? Welche Lebensstrategien entwickeln sie? Ihre Erzählungen führen weit zurück in die jeweilige Lebensgeschichte – in Erinnerungen, aber auch an konkrete Orte. Wie jeder Mensch sein eigenes Leben hat, so auch seine eigene Demenz. Und jeder begegnet auf seine Weise der großen Herausforderung. Der eine mehr mit Humor, der andere mit Liebe zu seiner Frau, der dritte mit Präzision. Keiner von ihnen hat Angst, mit fortschreitender Krankheit sich selbst verloren zu gehen. Weisheit und Gelassenheit klingen durch, wenn einer von ihnen sagt: “Ich nehme ja an, dass ich das nicht mehr so richtig mitkriege, also von daher würde es mich auch nicht weiter stören.”

Aus dem Archiv des Auswärtigen Amtes
Die “angebliche” Indianerverfolgung in Paraguay

Von Gaby Weber

26.04.2016, 19:15 Uhr, DLF

In Paraguay putschte sich 1954 der deutschstämmige Diktator Alfredo Stroessner an die Macht. 35 Jahre lang ließ er Widersacher unterdrücken: landlose Bauern, Kommunisten und demokratische Parteien. 1972 rüttelte ein deutscher Ethnologe die Weltöffentlichkeit auf und berichtete von Menschenjagden auf die Aché-Indianer.

Weltweite Proteste von Menschenrechtsorganisationen halfen wenig, deutsche Diplomaten stellten sich auf die Seite des Stroessner-Regimes und sprachen von einem “Störfall” und “angeblicher” Indianerverfolgung. Heute steht fest, dass die Aché-Indianer systematisch verfolgt und versklavt worden sind. Nur noch wenige sind am Leben. Inzwischen hat das Auswärtige Amt seine Akten aus dem Archiv freigegeben.

Mehr als Schmerz und Kommerz
Neue Töne im Musical

Von Rainer Link

Freitag, 29.04.2016, 20:10 Uhr, DLF

Seit einem Vierteljahrhundert gehört das Musical zu den beliebtesten Kulturangeboten. Der Siegeszug der Musicalindustrie begann mit den eingängigen Melodien des britischen Komponisten Andrew Lloyd-Webber. Für Werke wie “Das Phantom der Oper” oder “Starlight Express” wurden eigene Abspielstätten errichtet und das Publikum per Bus herangefahren.

Im Grunde handelt es sich dabei um das serielle Abspielen von musischen Convenience-Produkten mit Langlebigkeitsgarantie und austauschbaren Darstellern. Aber das Musical war früher – und ist es in Randbereichen auch heute noch – etwas ganz anderes: ein unangepasstes musisches Spektakel, das sich unbotmäßig und angriffslustig den Themen der Zeit zuwendet.

Das Feature blickt hinter die Kulissen der großen Musicalbühnen zu Land und auf Kreuzfahrtschiffen, besucht die Ausbildungsstätten des Sänger-Nachwuchses und hinterfragt den Businessplan der Investoren. Es trifft die Macher von Off-Musicals, die an kleinen Bühnen mit geringen Etats die Kunstgattung Musical aus der kommerziellen Umklammerung zu befreien versuchen.

Mein Tschernobyl
Vom Versuch, die Wahrheit über den größten anzunehmenden Unfall herauszufinden

Von Helga Montag

Samstag, 30.04.2016, 13:05 Uhr, Bayern 2

  1. April 1986: In Tschernobyl explodiert der 4. Block des Atomkraftwerks. Die westliche Welt erfährt erst Tage später, dass sich in der Ukraine der Gau ereignet hat, der größte anzunehmende Unfall. Am Tag vor dem 1. Mai wird klar: Die radioaktive Wolke hat Deutschland erreicht. Es zeigt sich, dass Bayern besonders betroffen ist, denn dort hatte es zu diesem Zeitpunkt stark geregnet.
    Die sowjetische Regierung setzt zunächst wie gewohnt auf Geheimhaltung. Aber Gorbatschows Losung von “Glasnost und Perestroika” verändern den Staat, die Sowjetunion bricht auseinander, die Ukraine wird unabhängig. Jetzt können auch westliche Journalisten ungehindert recherchieren und interviewen, wen sie wollen. Sie können sich ein Bild machen von der Situation im Kraftwerk, in der abgesiedelten Zone und von der Lage in den Dörfern und Städten mit extremer radioaktiver Belastung, in denen die Menschen noch jahrelang ausharren müssen.
    Helga Montag war seit 1990 mehrmals auf Spurensuche in den verstrahlten Regionen in der Ukraine und in Weißrussland. Sie hat mit Betroffenen, Verantwortlichen und Politikern, mit Wissenschaftlern und Ärzten gesprochen. Sie hatte die Hoffnung, die Wahrheit herauszufinden über die Katastrophe und ihre Folgen.
    Als die Autorin 2011 an ihrem Feature zum 25. Jahrestag der sowjetischen Reaktorkatastrophe arbeitete, kam die Schreckensmeldung von Fukushima.
    Sowjetische Kernkraftwerke seien schlecht, westliche Reaktoren sicher. Kernkraft sei sauber und billig, so die westliche Devise auch Jahre nach Tschernobyl. Der Supergau im japanischen Fukushima hat gezeigt, dass dies eine Täuschung war.

Beirut – die komplizierteste Stadt der Welt
We’re in deep shit

Von Sammy Khamis und Florian Schairer

Samstag, 30.04.2016, 18:05 Uhr, DR Kultur

Die Autoren reisen in den Libanon und entdecken das komplizierteste Land der Welt. Dort treffen sie eine junge Sunnitin, die ihren Großvater als Faschisten beschimpft.

Sammy Khamis und Florian Schairer reisen in den Libanon. Sie treffen eine junge Sunnitin, die ihren Großvater als Faschisten beschimpft; eine Schiitin, die sich über fromme Männer aufregt, die ihr schamlos auf den Busen glotzen, einen Münchner Studenten mit libanesischen Wurzeln, der die Reporter in sein christliches Dorf zur Party mit UNO-Soldaten mitnimmt.

Sie sprechen mit dem Sänger einer Indie-Band, der eine Hymne über schwule Liebe geschrieben hat und mit einem Professor für arabische Geschichte, der ISIS für eine interessante Option hält.

Scheitern ist.
Eine Bestandsaufnahme

Von Rilo Chmielorz

Sonntag, 01.05.2016, 14:05 Uhr, SWR2

Schon mal das Gift des Scheiterns in den Adern gespürt? Wenn man unbedingt etwas erreichen will und dann komplett Schiffbruch erleidet? Klar, denn was das Scheitern betrifft, sind doch eigentlich alle Experten, die Autorin selbstredend eingeschlossen. Behauptet sie doch seit Jahrzehnten eine Scheiternde zu sein. Was keine Schande ist. Selbst der liebe Gott erlebt sich als scheiternd und das Alte Testament scheint geradezu ein Kompendium des Scheiterns zu sein. Geschichten vom Scheitern archiviert und katalogisiert das Institut zur Aneignung und Nachhaltigkeit des Scheiterns. Ein Ort der Zuflucht für alle Scheiternde. “Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.” – Becketts Credo der Moderne. Scheitern ist. Nicht mehr und nicht weniger.

Zur Vermeidung weiterer Provokationen.
Die kurze Lebensgeschichte des Michael Gartenschläger

Sonntag, 1. Mai 2016, 18:05 Uhr, hr2

Von Roman Grafe

Die DDR verkaufte die Grenze zur BRD als Schutzwall gegen den Imperialismus. Doch nicht alle DDR-Bürger gaben sich damit zufrieden. Der 17-jährige Michael Gartenschläger hatte schon 1961 in der DDR zusammen mit Freunden gegen den Mauerbau in Berlin protestiert. Er wurde festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt.

1971, nach zehn Jahren Haft, wurde er von der Bundesrepublik freigekauft. Daraufhin agierte er von Hamburg aus gegen die DDR und engagierte sich als Fluchthelfer. Da die DDR den Einsatz von Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze bestritt, baute er im März und April 1976 zwei dieser Anlagen aus und präsentierte sie im Westen.

Vor vierzig Jahren, am 30. April 1976, startete er einen weiteren Versuch, eine Anlage an der Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg auszubauen. Dabei wurde Gartenschläger von DDR-Grenzsoldaten überrascht und angeschossen. Er starb noch an der Grenze am 30. April 1976, um 23.45 Uhr. Im März 2000 und April 2003 wurden Offiziere und Soldaten der Stasi und NVA in Rostock bzw. Berlin wegen Verdacht des Totschlags freigesprochen.