Radiotipps für die Woche vom 26. April bis 3. Mai 2015

Arbeitssklaven in Kalabrien
Labor des Wegwerf-Menschen

Von Aureliana Sorrento

Dienstag, 28.04.2015, 19:15 Uhr, DLF

Rosarno ist eine Kleinstadt im Süden Kalabriens, deren Wirtschaft seit jeher auf dem Anbau von Zitrusfrüchten gründet. Einst ein florierendes Städtchen, hat es seit den 70er-Jahren einen stetigen Niedergang erlebt. Denn irgendwann konnten die kalabrischen Orangen der billigen Konkurrenz aus dem Ausland nicht mehr standhalten.

Um zu überleben, haben die Orangenbauern Verträge mit transnationalen Handelsketten, Saft- und Getränkeherstellern wie etwa Coca-Cola geschlossen. Doch diese globalen Akteure diktieren die Preise auf dem Weltmarkt und drücken sie immer weiter nach unten. Die Orangenanbauer Kalabriens konnten nur überleben, indem sie bis heute vom Elend der Flüchtlingsströme aus Afrika und Osteuropa profitieren.

Die Einwanderer werden als Tagelöhner auf den Straßen Rosarnos angeheuert und schuften auf den Orangenplantagen für 20 oder 25 Euro am Tag. Wenn sie überhaupt bezahlt werden, und wenn sie überhaupt Arbeit finden. Vor allem die meist illegal eingereisten Afrikaner sind dem Gutdünken der Bauern ausgeliefert. Für den Soziologen Fabio Mostaccio sind sie der Prototyp des Wegwerf-Arbeiters, den die neoliberale Globalisierung verlangt.

Kurzstrecke 37

Zusammenstellung: Ingo Kottkamp, Barbara Gerland und Marcus Gammel

Sendung am 29.04.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Kurz, ungewöhnlich und nicht länger als 20 Minuten: Innovative, zeitgemäße, radiophone Hörstücke aus den Genres Feature, Hörspiel und Klangkunst können an uns geschickt werden. Wir wählen die interessantesten aus und stellen sie in dieser monatlichen Sendung vor.

Der Künstler sagt, es geht um das Thema Angst
Stimmen und Mikrointervalle aus der Psychiatrie
Von Tobias Klich

Pillenbox mit sieben Tageseinsätzen
Voice meets noise
Von müller/ziermann

The sound of white noise
Ich glaub, mein Empfänger ist kaputt
Von Davide Tidoni

Thilo Sarrazin Monolog
Sie haben es wahrscheinlich schon geahnt: Mein Name ist Thilo Sarrazin
Von Wolfram Lotz

Außerdem: Neues aus der “Wurfsendung” mit Julia Tieke

1945. Zeitenwende
Das Jahr im Radio

Collage von Wolfram Wessels

Mittwoch, 29.04.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Ein letztes Mal wurde im Januar noch des Tages der nationalsozialistischen Machtübernahme gedacht, Hitler hält seine übliche Rede und ruft zum Entscheidungskampf. Im Februar wird Dresden bombardiert, im März werden Kinder mobilisiert, im April berichtet das Radio erstmals ausführlich über die Gräuel in den KZs, im Mai vom Selbstmord Hitlers und der Kapitulation. Im Juni und Juli beginnen die Versuche, eine desorientierte Bevölkerung zur Einsicht zu bringen, im August endet der Zweite Weltkrieg nach den Angriffen auf Hiroshima auch im Pazifik, im Oktober werden erste Schlüsse aus der Niederlage gezogen, im November beginnen die Nürnberger Prozesse und im Dezember ist das einzige Weihnachtsgeschenk der Deutschen: Frieden. Mit O-Tönen ausschließlich aus den jeweiligen Monaten folgen wir dem Lauf dieses außergewöhnlichen Jahres in 12 Collagen.

Berlins jüdische Israelis
Meschugge Mischpoke und West-Ost-Divan

Von Babette Michel

Freitag, 01.05.2015, 11:05 Uhr, DLF

Wenn Ronit Land am Denkmal “Züge ins Leben – Züge in den Tod” vor dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin steht, dann denkt sie an ihre Mutter. Ende August 1939 saß das zwölfjährige jüdische Mädchen Cilly Salomon hier und wartete auf den Kindertransport, mit dem ihr die Flucht aus Nazideutschland gelingen sollte.

Andere Kinder wurden von hier aus direkt ins KZ deportiert. Keine Kleinigkeit für die israelische Choreografin Ronit, jetzt hierher nach Berlin zu ziehen. Und doch wirkt Berlin neuerdings wie ein Magnet auf jüdische Israelis. Vor allem junge unangepasste Journalisten, Studenten, Musiker, Unternehmer und Designer sind zu Hunderten gekommen, um hier zu leben. In Neukölln und Moabit, Kreuzberg und Mitte starten sie Multi-Art-Projekte und unkoschere Gay-Partys, verkaufen die schmackhaftesten Berliner Brezeln und gründen gesellschaftskritische hebräische Magazine. Die Stadt überzeugt mit moderaten Mieten und Platz für Kultur, mit bewusster Geschichtsaufarbeitung und Raum für west-östliche Friedensprojekte.

Und auch, wenn antijüdische Parolen und Übergriffe als Reaktion auf den Gaza-Krieg beängstigend sind: Berlin ist ihr Zuhause. Endlich schließt sich mit ihrem Umzug nach Berlin auch für Ronit der Kreis – im familiären wie im geschichtlichen Sinn.

Orson Welles
Ein Puzzle

Von Thomas von Steinaecker

Freitag, 01.05.2015, 20:05 Uhr, DLF

“Rosebud!”: Es ist eines der großen Rätsel der Filmgeschichte, das letzte Wort des Tycoons Citizen Kane in jenem Film, der regelmäßig an erster Stelle genannt wird, wenn es um Kinoranglisten geht. Zum 100. Geburtstag begibt sich der Schriftsteller Thomas von Steinaecker wie der Reporter in Citizen Kane auf die Suche nach den Puzzlesteinchen, deren Gesamtbild das Rätsel Welles erklären könnten.

Worin liegt überhaupt das Bahnbrechende an Welles’ Hörspielen und Filmen, die heute ein bedeutungsvolles Raunen umgibt? Ist es gerade jene Masse an Filmschnipseln unrealisierter Projekte, in denen das beispiellos schöpferische Kraftwerk, aber auch die Tragik Orson Welles sichtbar wird?

Svalbard
Norwegens Joker im Run auf die Arktis

Von Harald Brandt

Samstag, 02.05.2015, 13.05 Uhr, BR2
Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Svalbard – “kühle Küste” wird die Inselgruppe auf norwegisch genannt. Der 1920 in Paris unterzeichnete Spitzbergenvertrag gesteht Norwegen die volle Souveränität über den gewaltigen Archipel im Polarmeer zu. Allerdings muss Norwegen allen vierzig Unterzeichnerstaaten die gleichen Rechte bei der Ausbeutung von Bodenschätzen gewährleisten, über die es selbst verfügt. Und nicht nur die vermuteten Öl- und Gasvorkommen im Norden sind begehrt. Auf Svalbard beginnt der Run auf die Arktis. Etwa 2000 Menschen leben in der Hauptsiedlung Longyearbyen, über ein Viertel sind Studenten aus aller Welt. In Barentsburg kommen noch etwa 400 russische Minenarbeiter und Wissenschaftler dazu. Norwegen verfügt zwar über die Souveränität, aber wird es den Wettlauf gewinnen?

Die Kinder des Premysl Pitter

Von Jörn Klare

Samstag, 02.05.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

Eine Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs. – Es sind nicht mehr viele. Die jüngsten sind knapp 80 Jahre alt. Sie leben in Jerusalem und Berlin, in einem oberbayrischen Dorf oder einer hessischen Kleinstadt. Sie erinnern sich an die Zeit, als der Krieg zu Ende ging und ihr Leben bedroht war.

Bis sie einem tschechischen Humanisten begegneten, der im Mai 1945 aus Schlössern in der Nähe von Prag Heime für zumindest zeitweise elternlose Kinder machte. Jüdische Kinder, die Auschwitz überlebt hatten, zusammen mit nichtjüdischen, deutschen Kindern, die in den neuen Internierungslagern der Sieger zu sterben drohten. Wer war dieser Mann, der alles daran setzte, diese Kinder zu retten, egal ob sie von Opfern oder Tätern stammten?

„Getragen von Euren Gebeten …“
Nachwirkungen eines Soldatentods

Von Andreas Fischer

Sonntag, 03.05.2015, 14.05 Uhr, SWR2

“Herzlichst und Heil Hitler, Euer Junge.” 100 Briefe und Postkarten hatte er an die Familie geschrieben: Onkel Günther, geboren 1921, gefallen nach sechs Tagen Kriegseinsatz 1941 in der Ukraine. Jetzt hat sein Neffe die Hinterlassenschaft: Andreas Fischer, der den Onkel kaum vom Hörensagen kannte. Denn in der Familie wurde kaum über ihn geredet. Wer war dieser ominöse Onkel? Offenbar ein glühender Nazi. Offenbar jemand, der sich und seinem Vater, der Soldat im 1. Weltkrieg war, etwas beweisen wollte. Und was noch? Je mehr sich Andreas Fischer mit den Briefen des Bruders seiner Mutter befasst, desto klarer wird ihm: Onkel Günther war und ist nicht zuletzt die Ursache eines familiären Traumas, das bis in die Gegenwart fortwirkt.

Der Teufel hat Ärger

Von Jörn Klare

Sonntag, 3. Mai 2015, 18:05 Uhr, hr2

Auf der Terrasse seines einfachen Hauses am Rand der liberianischen Hauptstadt Monrovia lässt sich Joshua Milton Blahyi im Licht der untergehenden Sonne den ohnehin schon so gut wie kahlen Kopf scheren. Neben ihm liest sein kleiner Sohn laut in der Bibel.

Später wird Blahyi in einer kleinen Kirche predigen. Sie liegt in einem Teil Monrovias, in dem ihn viele noch aus seinem anderen Leben kennen. Denn hier hat er als Gegner von Charles Taylor in einem barbarischen Bürgerkrieg gekämpft. Blahyi war ein Warlord, Herr über bis zu 7000 meist minderjährige Krieger. Er war ein Priester der schwarzen Magie, der vor seinen Kämpfen regelmäßig Kinder opferte, um deren Herz zu verspeisen. Er soll für den Tod von 20.000 Menschen verantwortlich sein. Sein Kampfname lautete “Butt-Naked”, weil er komplett nackt in die Gefechte stürmte, bis sich ein Mann in sein Hauptquartier wagte, um ihn auf den Weg Gottes zu führen. Dies ist die Geschichte einer Verwandlung.

 

Radiotipps für die Woche vom 20. bis 26. April 2014

Im Käfig
Hans Uhlmanns Aufzeichnungen während der Haft 1934/35

Von Carmela Thiele

Dienstag, 21.04.2015, 19:15 Uhr, DLF

“Vorbereitung zum Hochverrat”, lautete die Anklage, die Hans Uhlmann 1934 für eineinhalb Jahre ins Gefängnis Berlin-Tegel brachte. Der Künstler war einer von 60.000 Kommunisten, die damals festgenommen wurden. Um dem Haftalltag zu entfliehen, führte der Bildhauer ein Tagebuch, dem er seine Zukunftspläne, seine Empfindungen und Beobachtungen anvertraute.

Karge Kost und mangelnde Bewegung machten den noch jungen Mann mürbe, aber auch empfindlich für die Metamorphosen des Lichts, den Wandel der Jahreszeiten und die Kakophonie dieses Ortes, den er “Käfig” nannte. Angeregt durch seine Lektüre, zu der Autoren wie Jean Cocteau zählten, erlebte er die Gefangenschaft als surreale Szenerie. Gedanken zu einer neuen Plastik aus Metall gehen über in Erinnerungen an die grausamen Wochen der Gestapo-Haft, poetische Passagen stehen neben erstaunlich klaren Einschätzungen der politischen Lage. Getarnt als französische Studien überdauerte das Tagebuch die NS-Zeit.

Der Makel – Ein deutsch-jüdisches Familienstück

Von Andreas Müller

Mittwoch, 22.04.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

“1994, im Alter von 67 Jahren, offenbarte mir meine Mutter, dass mein Großvater nicht mein Großvater ist. Ein anderer Mann hätte die Großmutter mit ihrem Kind “über Nacht” verlassen. Ein weißer Fleck in der Geburtsurkunde: Vater unbekannt.

Vielleicht hätte ich es dabei belassen, wäre da nicht noch lange Zeit dieses Flüstern meiner Mutter geblieben, wenn wir darüber sprachen, und wäre da nicht das Datum seines Verschwindens: 1933, Ziel Palästina.

Im Januar 2011, nach 17-jähriger Suche, erhielt ich aus England eine E-Mail, lapidar überschrieben: “Welcome to the family!” Meine Mutter hatte eine Cousine in London und eine Halbschwester in Israel. Wie würden sie sich begegnen?”

Raubgräber

Von Günther Wessel

Mittwoch, 22.04.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Ägypten wird geplündert. Metertief führen ungesicherte Stollen in Wüstengräber. Kinder kriechen hinein, bringen Nachschub für den internationalen Antikenmarkt. Auf sechs bis acht Milliarden Euro pro Jahr schätzen Fahnder den Umsatz aus dem Verkauf illegal erlangter Kulturgüter weltweit. Tendenz steigend. Nur mit Drogen und Waffen wird noch mehr Geld gemacht. Die Gier der Sammler, Grabräuber und Händler zerstört nicht nur die Vergangenheit von Völkern, sondern finanziert auch Terrornetzwerke wie den IS. Hehler schaffen das Raubgut ins Ausland und schließlich nach Westeuropa: nach London, Brüssel oder München. Auktionshäuser, Privatleute, Galerien oder Internethändler verkaufen die Ware mit gefälschten Zertifikaten weiter. Vor allem in Deutschland kann der Markt ungehindert florieren.

Nicht kampflos sterben!
Jüdischer Widerstand im weißrussischen Gedächtnis

Von Johannes Kirsten

Freitag, 24.04.2015, 20:10 Uhr, DLF

Im offiziellen weißrussischen Geschichtsbild nehmen die heldenhaften Partisanen im Kampf gegen die Nazibesatzung einen zentralen Platz ein. Was wenig bekannt ist: Zwei Partisanenverbände bestanden aus gläubigen Juden. Nirgendwo sonst in dieser Zeit gab es einen vergleichbaren jüdischen Widerstand.

Allein die Bielski-Brüder schleusten 1.200 Menschen aus den Gettos und formierten mit ihnen im Naliboki-Wald ein geheimes Schtetl, ein funktionierendes Gemeinwesen, von dem aus ihre Einheiten operierten. Jack Kagan und Michail Treijster wurden als Kinder von den Bielskis gerettet und schlossen sich ihren Aktionen an. Heute erzählen sie gegen den Verlust des historischen Gedächtnisses an. Unterstützung finden sie dabei von jungen Autoren, die ihrerseits als Partisanen agieren: Als P-ART-isanen der Kunst unterlaufen sie den Partisanenmythos der Regierung Lukaschenko.

„Und es brennt mein Herz tagelang“

Von Daniel Guthmann und Stepan Gantralyan

Samstag, 25.04.2015, 18.05 Uhr, DR Kultur

Die Erinnerung an Jeghische Tscharenz (1897–1937) hat für die Armenier eine besondere Bedeutung. Tscharenz wird nicht nur als Begründer der modernen armenischen Dichtung verehrt, sondern zugleich als ein Märtyrer der armenischen Nation.

In seiner Lebensgeschichte und in seinen Werken spiegelt sich das tragische Schicksal des armenischen Volkes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine Geschichte, die mit dem Völkermord an den Armeniern beginnt und im stalinistischen Terror der 30er-Jahre gewaltsam endet. Bis Mitte der 50er-Jahre galt der Dichter als verfemt. Selbst seine Tochter Anahit konnte nur schwer in Erfahrung bringen, wer ihr Vater war.

Im Widerstand zu Hause sein?
Eine Erkundung zur Kritik als Lebensform

Von Angelika Brauer

Sonntag, 26.04.2015, 14.05 Uhr, SWR2

Die Dramen der Vergangenheit, die Schieflagen der Gegenwart, die Kluft zwischen Arm und Reich – jeder weiß Bescheid. Man kann sich empören, solidarisieren, als Wutbürger auf die Straße gehen und sein Nein demonstrieren. Ist dieser spontane Widerstand – anlassbezogen, zielgerichtet und so schnell, dass er verschwindet, bevor er ökonomisch vereinnahmt wird – nicht der einzige, der heute überhaupt noch zur Freiheit der Selbstbestimmung passt? Eine prinzipielle Frage. Mit Antworten von Philosophen und Künstlern.

 

Radiotipps für die Woche vom 13. bis 19. April 2015

Venezuela – Auf dem Weg zur Diktatur?
Eindrücke aus einem gebeutelten Land

Von Peter B. Schumann

Dienstag, 14.04.2015, 19:15 Uhr, DLF

15 Jahre nach dem Amtsantritt von Hugo Chávez, zwei Jahre nach seinem Tod befindet sich Venezuela in einer tiefen Krise. Im ölreichsten Land Lateinamerikas herrscht heute ein Mangel an Benzin und Elektrizität, an Grundnahrungsmitteln und Medikamenten. Die Inflation beträgt rund 70 Prozent.

Was ist aus der einstigen “bolivarischen Revolution” geworden, die einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts verfocht? Ist der Niedergang des Landes, gegen den seine Bürger seit Monaten protestieren, nur der Politik des Nachfolgers von Chávez, Nicolás Maduro, zuzuschreiben? Der jedenfalls versucht zunehmend, die Führungsspitze der Opposition zu kriminalisieren und greift in die Etats autonomer staatlicher Universitäten und in die Haushalte oppositioneller Stadtverwaltungen ein.

Hans Magnus Enzensberger
Das unendliche Zimmer

Von Michael Augustin und Walter Weber

Mittwoch, 15.04.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Bereits als junger Autor war der 1929 in Kaufbeuren geborene und in Nürnberg aufgewachsene Hans Magnus Enzensberger polyglott unterwegs.

Gewohnt hat er an vielen Orten der Welt: in Freiburg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Berlin und München, in Frankreich und Norwegen, Russland, den USA und in Kuba.

Enzensberger steht für die in Deutschland seltene Verbindung von Homme de Lettres, Homo Politicus und Bonvivant. Sein Rückblick kommt ohne Altersmilde aus.

„9 to 5“ – Nein Danke
Selbstbestimmt Arbeiten 2.0

Von Regina Burbach

Mittwoch, 15.04.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Sie sind um die 30, haben Studium und Ausbildung hinter sich und sind gut gerüstet, um in der Wirtschaft an den größeren Rädern zu drehen. Sie hatten auch schon mal einen Fuß in der Tür, saßen an diversen Schreibtischen als High Potential mit Festvertrag und Urlaubsgeld. Aber die Zweifel kamen: Soll das alles gewesen sein und immer so weitergehen? Von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr, “9 to 5”, ein Leben lang und fremdbestimmt? – Nein, haben sie gesagt und einen anderen Weg gewählt, einen mit viel mehr Risiko, und teils zum Unverständnis ihrer Freunde und Bekannten. Sie haben Start-Ups gegründet, sind mutig ihren eigenwilligen Ideen gefolgt. Das Porträt einer neuen Generation.

Mythos Luis Trenker
Ein Mann, ein Berg

Von Katrin Hildebrand

Freitag, 17.04.2015, 20:10 Uhr, DLF

Wer den Namen Luis Trenker hört, denkt sofort an die Südtiroler Berge. Dabei war Luis Trenker in Wirklichkeit nur ein mittelmäßiger Kletterer. In den fast 98 Jahren seines Lebens arbeitete er als Architekt, Unternehmer, Dolomitenführer, Skilehrer, Soldat, Schauspieler, Filmemacher, Schriftsteller sowie als Märchenonkel für den Bayerischen Rundfunk.

Im Privaten galt er als Frauenheld und Patriarch, als Egomane mit hohem Unterhaltungswert. Als Regisseur arrangierte er sich mit den Nationalsozialisten und Mussolinis Faschisten. Bis heute hat sich das Bild eines aufrechten Strahlemanns gehalten. Wie hat er das geschafft?

Oury Jalloh
Die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalles

Von Margot Overath

Samstag, 18.04.2015, 13:05 Uhr , BR2

Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Siebter Januar 2005, Dessau, Sachsen-Anhalt. In einer Polizeizelle verbrennt ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch bei lebendigem Leib. Selbst verschuldet, sagen die einen. Ermordet, sagen die anderen. Was geschehen ist, wird nur gedeutet. Klare Beweise liegen nicht vor. Da auch der dritte Prozess vor dem Landgericht Magdeburg keine endgültige Aufklärung zum Entstehen des Brandes bringt, knüpft die Autorin an ihre Recherche für ihr erstes Feature zum Fall Jalloh “Verbrannt in Polizeizelle Nummer fünf” an und hinterfragt die Ermittlungsergebnisse erneut.

Mit Unterstützung von Gerichtsmedizinern, Toxikologen und Kriminalbeamten geht sie Ungereimtheiten nach und bekommt Hinweise auf einen dritten Mann. Ging es am Anfang um unterlassene Hilfeleistung des Dienstgruppenleiters, ermittelt die Staatsanwaltschaft Dessau seit 2014 gegen Unbekannt wegen Mord.

Zaaatari

Von Monika Kalcsics

Samstag, 18.04.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

Das Flüchtlingslager Zaatari der Vereinten Nationen in Jordanien ist das zweitgrößte weltweit. Es liegt im Norden des Landes an der Grenze zu Syrien, wo seit drei Jahren Bürgerkrieg herrscht.

2012, als das Lager errichtet wurde, kamen pro Nacht 1500 Menschen an. Heute leben 100 000 Menschen auf 530 Hektar Land. Eine logistische Herausforderung für die UNO und die Hilfsorganisationen. Auch der Deutsche Kilian Kleinschmidt arbeitet hier, er wurde gerufen, als das Lager im Chaos zu versinken drohte.

“Ich glaube, dass wir sowieso politisch sind”

Geschichten von Leuten, die sich einmischen

Von Günter Rohleder

Sonntag, 19.04.2015, 14.05 Uhr, SWR2 Feature am Sonntag

Demokratie ist ein Prozess und muss täglich neu errungen werden. Sie lebt davon, dass Menschen hinsehen und aufbegehren, wenn sie auf Unzumutbares und Ungerechtes stoßen. Doch Temperament, Mut und Handlungsbereitschaft fallen sehr unterschiedlich aus. Wie ticken Menschen, die sich einmischen? Was treibt sie zum Handeln? Und wann werden Wut und Empörung gefährlich? Neun Menschen, die sich einmischen über ihre Motive und ihre Zweifel.

Ich habe sie geheiratet, weil sie mich gefragt hat
Sylvia Platz und Ted Hughes

Von Manuela Reichart

Sonntag, 19. April 2015, 18:05 Uhr, hr2

Sylvia Plath und Ted Hughes: eines der großen Dichterpaare des 20. Jahrhunderts. Als sie sich im Winter 1962 umbringt, scheint er vielen der Schuldige – und wird trotzdem zu ihrem erfolgreichen Nachlassverwalter.

Begonnen hat ihre Liebesgeschichte 1956 in Cambridge, wo sich die begabte Amerikanerin Sylvia Plath und der aufstrebende englische Lyriker Ted Hughes zum ersten Mal begegnen. Sie bewundern einander und verlieben sich, kämpfen um Anerkennung als Autoren, bekommen zwei Kinder, haben wenig Geld – und scheitern in der Ehe. Bis heute ist Sylvia Plath das Opfer in diesem Liebesdrama, Ted Hughes der Täter, der sie betrog und in den Selbstmord trieb. Ihre Ehegeschichte wurde zur Projektionsfläche, auf der viele das geschlechtsspezifische Liebesdrama erkannten. Aber sind solche Geschichten nicht immer komplizierter?

 

Radiotipps vom 6. bis 12. April 2015

Im Tale grünet Hoffnungsglück –
Osterfest und Frühlingsfeier

Von Hans-Joachim Simm

Montag, 6. April 2015, 12:05 Uhr, hr2

Ostern, das Urfest des Christentums, knüpft an die Pessachfeier und an die antiken Frühjahrsriten an. Die Sendung widmet sich – mit kulturhistorischen und literarischen Texten – der Entstehung, Entwicklung und Bedeutung des Osterfestes. Hans-Joachim Simm beschreibt die Ereignisse vom Palmsonntag über den ‚Krummen Mittwoch‘, den Gründonnerstag und Karfreitag bis zum ‚Weißen Sonntag‘, ergänzt um die mit dem Frühlingsanfang verbundenen und noch heute bekannten Sitten und Bräuche, von Flurumgängen und vom Wasserschöpfen bis zu Lichterprozession und Osterfeuer.

Lady Day – Das Leben der Billie Holiday

Von Grace Yoon und Alfred Koch

Dienstag, 07.04.2015, 19:15 Uhr, DLF

Billie Holiday ist die Stimme des Jazz und vielleicht auch die Stimme des 20. Jahrhunderts. Ihr Leben war so intensiv wie ihre Musik, eine außergewöhnlich talentierte Frau, die ein Leben auf dem Drahtseil führte, stets vom Unrecht der Rassentrennung, von falschen Freunden und den Auswirkungen ihrer Drogensucht bedroht.

1939 sang sie erstmals den Song “Strange Fruit”, ein Aufschrei gegen die Lynchjustiz an Schwarzen. In dem Film “New Orleans” (1946) durfte sie nur die Rolle spielen, die Hollywood damals für Schwarze vorsah: das Dienstmädchen. Billie Holiday starb mit nur 44 Jahren. Ihre Autobiografie wurde in viele Sprachen übersetzt.

Diana Ross spielte Lady Day in dem Film “Lady sings the Blues” und immer wieder tauchen Samples ihres Gesangs in modernen Re-Mixes, Techno- und Rap-Produktionen auf.

Check – shoot – goal
Innenansicht eines Eishockeyclubs

Von Ulrich Land

Mittwoch, 08.04.2015, 00:05 Uhr, DR Kultur

Eishockey ist nach Fußball der beliebteste und lauteste Mannschaftssport. Eine Allianz aus Eleganz und Aggression. Für das Porträt der Kölner Haie wurde die komplette Mannschaft mit Mikrofonen verkabelt; sechs Mikrofone hingen von der Decke, und zusätzlich wurden zahlreiche Einzelaktionen sowie das Publikum separat aufgenommen.

Moritz Müller, Star-Verteidiger der vor über 40 Jahren gegründeten Kölner Haie, kommentiert von der Bande aus. Welchen Teamspirit bringen die Spieler mit? Welche Bedeutung haben die Schneidezähne für einen Hai? Und wie geht die Mannschaft mit der Rolle des ewigen Vizemeisters um?

Svalbard
Norwegens Joker im Run auf die Arktis

Von Harald Brandt

Mitttwoch, 08.04.2015, 22.03 Uhr, SWR2

Svalbard – “kühle Küste” wird die Inselgruppe auf norwegisch genannt. Der 1920 in Paris unterzeichnete Spitzbergenvertrag gesteht Norwegen die volle Souveränität über den gewaltigen Archipel im Polarmeer zu. Allerdings muss Norwegen allen 40 Unterzeichnerstaaten die gleichen Rechte bei der Ausbeutung von Bodenschätzen gewährleisten, über die es selbst verfügt. Und nicht nur die vermuteten Öl- und Gasvorkommen im Norden sind begehrt: Auf Svalbard beginnt der Run auf die Arktis. Etwa 2000 Menschen leben in der Hauptsiedlung Longyearbyen, über ein Viertel sind Studenten aus aller Welt. In Barentsburg kommen noch etwa 400 russische Minenarbeiter und Wissenschaftler dazu. Norwegen verfügt zwar über die Souveränität, aber wird es den Wettlauf gewinnen?

Viva Fluxus
Mein Leben mit Vostell

Von Rilo Chmielorz

Freitag, 10.04.2015, 20:10 Uhr, DLF

40 Jahre lang war Mercedes Guardado de Vostell die Frau an der Seite von Wolf Vostell, des wohl bekanntesten Fluxus-Künstlers, der diese Bewegung Anfang der 60er-Jahre mitbegründet hat. Fluxus wollte die Grenze zwischen Kunst und Leben aufheben. Alles sollte fließen: KUNST=LEBEN=KUNST.

Das Publikum wurde zum Protagonisten der Happenings. Man wohnte im Atelier, und auch im Privaten wurden die Grenzen fließend. Als sich Mercedes und Wolf 1958 in Guadalupe kennenlernten, war Wolf ein unbekannter Maler und Mercedes eine junge Lehrerin, die gerade zu unterrichten begonnen hatte. Hals über Kopf folgte sie ihm nach Köln.

Noch heute spricht Mercedes von ihm als “Vostell” und nennt ihn weder beim Vornamen noch “meinen Mann”. Sie war Muse, Mutter, Modell, engste Mitarbeiterin, Museumsgründerin, Familienunternehmerin. Obwohl inzwischen schon 81 Jahre alt, ist sie immer noch die künstlerische Direktorin des Museo Vostell Malpartida und hält das bewegte Erbe lebendig. Viva Mercedes! Viva Fluxus!

Mein ungerechtes Land
Warum in Deutschland immer noch die soziale Herkunft zählt

Samstag, 11.04.2015, 13:05 bis 14:00 Uhr, Bayern 2

Von Marco Maurer

Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Ein junger Mann hat den Traum Sportreporter zu werden. Dagegen stehen eine Hauptschulempfehlung, der Mann vom Arbeitsamt und manchmal auch das eigene Milieu. Dennoch ist er, Sohn einer Friseurin und eines Kaminkehrers, entgegen der Prognose seiner Lehrer Journalist geworden. Sein eigener Marsch durch die Bildungsinstitutionen war der Ausgangspunkt, sich in einer drei Jahre langen Recherche einmal gründlich die deutsche Bildungswirklichkeit anzuschauen: Von 100 Akademiker-Kindern schaffen 71 den Sprung auf die Universität, von 100 Nichtakademiker-Kindern sind es nur 24. Diese Zahlen sind das Ergebnis einer sozialen Auslese.
Im Gespräch mit Politikern wie Ole von Beust, sozialen Aufsteigern wie Rüdiger Grube, Chef der Deutschen Bahn, und Experten, etwa dem Eliteforscher Michael Hartmann, geht der Autor des Features der Bildungsungerechtigkeit auf den Grund. Er will wissen, warum es in Deutschland gute Bildung immer noch nicht für alle gibt, Kinder aus bildungsfernen Milieus systematisch benachteiligt, ihre Talente und Begabungen nicht gefördert werden und so ein ganzes Land seine Zukunft verspielt.

Fremdes Land
Mein Exil Zuhause

Von Ruth Fruchtman

Samstag, 11.04.2015, 18:05 Uhr, DR Kultur

Wer sagt, dass Zuhause nur ein bequemer Ort sei? Wer behauptet, dass man dort bleiben muss, wo man geboren wurde? Im selben Land, in derselben Stadt, gar in derselben Straße und derselben Wohnung? Heimatlosigkeit muss kein Nachteil sein. Das Land, die Kultur und die Sprache zu wechseln, kann eine andere Sicht auf die Welt, auf andere Menschen ermöglichen – und vor allem auf sich selbst.
Leila Ibn Hasar, deutsch-arabischer Herkunft, Maciej Luszynski aus Polen, Ines Meyer-Kormes, jüdische Ostberlinerin und die ebenfalls jüdische, in London geborene Autorin Ruth Fruchtman erzählen von der Suche nach Heimat und der Konstruktion eines Zuhauses.

„Ich schrieb das schnell auf“
Rolf Dieter Brinkmann und die Suche nach dem Unmittelbaren

Von Norbert Hummelt

Sonntag, 12.04.2015, 14.05 Uhr, SWR2

Vielleicht sei es ihm “manchmal gelungen, Gedichte einfach genug zu machen, wie Songs, wie eine Tür aufzumachen, aus der Sprache und den Festlegungen raus”, schrieb Rolf Dieter Brinkmann zu seinem letzten Gedichtband Westwärts 1 & 2, der im Mai 1975 posthum erschien. Kurz zuvor war der gerade 35-jährige Dichter in London von einem Bus überfahren worden. Der Versuch, unmittelbar an die Dinge, an den Augenblick, an das Leben heranzukommen, zeichnete sein Schreiben von Beginn an aus. Dazu entwickelte er die Snap Shots, ganz kurze Gedichte, die sich fotografisch an den Moment heften. Kommen wir heute, 40 Jahre nach Brinkmanns Tod, noch an die erloschenen Augenblicke heran? Was empfinden wir, wenn wir seine Stimme hören wie in seiner letzten Aufnahme, die kurz vor seinem Tod in Cambridge aufgezeichnet wurde? Finden wir in seinen Gedichten noch eigene Erfahrungen oder sind sie schon weit abgerückt?