Radiotipps für die Woche vom 28. März bis 3. April 2016

Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefasstes Neu
Von Tradition und Wandel

Von Hans-Joachim Simm

Montag, 28. März 2016, 18:05 Uhr, hr2

Experiment mit einem Vogel und einer Luftpumpe, Joseph Wright of Derby, 1768

Das “Neue” als das Nie-Dagewesene oder Fremde soll, so Goethe, “freundlich” in eine Wechselwirkung mit dem Alten als dem Bekannten und zu Erhaltenden treten. Wie aber begegnen sich Altes und Neues tatsächlich, auf dem Gebiet der Religion, der Wissenschaft, der Literatur, der Künste, der Gesellschaft?

Das Themenspektrum, dem sich das Feature widmet, reicht vom Traum der Rückkehr zum Ursprung über die Vorstellung der “ewigen Wiederkehr” des Gleichen, in dem Altes und Neues verschwinden, bis zur Idee des historischen Fortschritts und der Hoffnung auf goldene Zeiten.

Die Brüder Edgar und Manfred Hilsenrath
Zwei Seiten der Erinnerung

Von Volker Dittrich

Dienstag, 29.03.2016, 19:15 Uhr, DLF

Edgar und Manfred Hilsenrath, geboren 1926 und 1929, aufgewachsen in Halle a. d. Saale, mit der Mutter 1938 zum Großvater in die Bukowina emigriert. 1941 deportiert ins Ghetto Moghilev-Podolsk und 1944 von der Sowjetarmee befreit. Nach dem Krieg führen Edgars und Manfreds Wege auseinander und zusammen: zwei Lebenserinnerungen.

Edgar schlägt sich nach Palästina durch, Manfred gelangt 1946 mit der Mutter nach Lyon zum Vater, der in Frankreich überlebt hat. Auch Edgar trifft Ende 1947 dort ein. Manfred Hilsenrath will studieren und Ingenieur werden. Edgar, der schon mit 15 seinen ersten Roman geschrieben hat, fühlt sich als Schriftsteller. Der Vater zwingt beide Söhne, eine Kürschnerlehre zu absolvieren und in diesem Beruf zu arbeiten.

1950 wandert Manfred in die USA aus. Edgar folgt ihm ein Jahr später. Manfred arbeitet bei Lockheed in einem Forscherstab für die amerikanische Raumforschung. Edgar, der am 2. April 2016 seinen 90. Geburtstag feiert, lebt vor allem in der Vergangenheit, die er in seinen Romanen bearbeitet. Edgar Hilsenraths Wohnsitz ist seit 1975 Berlin, Manfred Hilsenrath lebt seit 15 Jahren in Arkansas.

Die Entstehung einer Oper in vier Akten
Mimìs Muff

Von Jens Schellhass

Mittwoch, 30.03.2016, 00:05 Uhr, DR Kultur

Jens Schellhass begleitet den Opernregisseur Benedikt von Peter über neun Monate und dokumentiert die Entstehung der Oper “La Bohème” am Bremer Theater.

Wir erleben den Regisseur in der sogenannten ›Stunde Null‹, vor der er sich immer wieder fürchtet, die Zeit, in der er zum ersten Mal über eine Inszenierung nachdenkt. Wie er mit dem Libretto ringt.

Geht es wirklich um die wahre Liebe? Hürden bauen sich auf: Die Herren sollen in Frauenkleidern Ballettunterricht nehmen. Das Theater erwartet einen Erfolg, das Publikum soll strömen, auch des Geldes wegen, und um die Politik nicht zu enttäuschen.

Der Druck wächst, bis zum Premierenabend.

Gefährliches Erbe
Landminen in Kambodscha

Von Karin Hutzler

Mittwoch, 30.03.2016, 22.03 Uhr, SWR2

Obwohl Antipersonenminen seit dem Inkrafttreten des Ottawa-Vertrags 1999 weltweit geächtet sind und ihr Einsatz, Verkauf und Lagerung verboten, werden sie auch heute noch in Kriegen und Bürgerkriegen eingesetzt. Denn über 30 Länder haben diesen Vertrag nicht ratifiziert. Nach dem Ende eines bewaffneten Konflikts ist vor allem die Zivilbevölkerung einer Gefahr ausgesetzt, die noch Jahrzehnte lang von Minen ausgeht. Menschen, die einen Minenunfall überleben, tragen meist schwerste Verletzungen davon und sind ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen. Kaum ein anderes Land wurde so sehr vermint wie Kambodscha. Seit Jahren wird dort versucht, das gefährliche Kriegserbe loszuwerden. Die Minenräumung leistet dabei neben der unmittelbaren Gefahrenbeseitigung auch einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung, da dekontaminiertes Land wieder bewirtschaftet werden kann.

Psychologie eines Sehnsuchtsortes
Die Tauben vom Hauptbahnhof

Von Rainer Schildberger

Freitag, 01.04.2016, 20:10 Uhr, DLF

Bettler und Obdachlose, die Hast der Berufstätigen und die Träume der Wartenden. Der Bahnhof ist Sinnbild für das Etappenhafte, das Bruchstückhafte, das Fragmentarische, die Instabilität, aber auch die Bewegung unseres Lebens. “Die Mysterien finden am Hauptbahnhof statt”. Dieser Satz von Joseph Beuys ist Ausgangspunkt und zentraler Fokus des Features.

Gemeint ist, dass Erkenntnisse über den Sinn des Lebens auf der Straße zu finden sind. Besonders am Hauptbahnhof als Nucleus und exemplarischer Ort des Geheimnisses. Der Autor geht hinein in die ergebnisoffenen Situationen, die der Bahnhof bietet. Er trifft Menschen, die einfach nur sitzen und schauen und andere die herumfahren müssen, weil sie es zuhause nicht aushalten. Und dann ist da noch die Taube hoch oben in der gläsernen Kuppel. Sie kennt jeden, sie sieht alles. Sie erzählt von den Banalitäten und Besonderheiten eines Sehnsuchtsortes.

Culture Clash im Königreich?
Die Frauenband Zwirbeldirn in Saudi Arabien

Von Christine Auerbach

Samstag, 02.04.2016,13:05 Uhr, Bayern 2, Wiederholung am Sonntag, 21.05 Uhr

Saudi Arabien ist ein Land ohne Kino, ohne Konzerte, ohne öffentlichen Tanz.

Die Musikgruppe Zwirbeldirn, das sind drei junge Geigerinnen (und ein Bassist), die neue Volksmusik machen und damit an die Ränder bayerischer Tradition gehen – gegen Geschlechterrollen und altbackene Klischees.

Saudi Arabien und Zwirbeldirn – das sind zwei Welten, die nun im Jahr 2016 aufeinander treffen.

Autorin Christine Auerbach begleitet die Band zu ihrem Auftritt auf dem Kulturfestival Al-Jenadriyah in Riad, 2016 ist Deutschland Gastland und das Goethe Institut organisiert Musik- und Kulturveranstaltungen für die eine Million Besucher, mit denen das Festival jährlich rechnen kann.
Drei Konzerte wird Zwirbeldirn auf dem traditionellen Festival spielen – die einzige Auftrittsmöglichkeit in Saudi Arabien, bei der Musik und Tanz unter Auflagen erlaubt sind.
Sprengt der Auftritt den kulturellen Rahmen des Festivals, und wie steht das Publikum, zu den selbstbewussten jungen Frauen, wie die Religionspolizei, die das Festival überwacht? Wie positioniert sich Zwirbeldirn als deutsche Frauenband in einem Land, in dem Frauen nicht einmal den Führerschein machen dürfen? Ist es gerechtfertigt, eine solche Einladung überhaupt anzunehmen oder stellt sich die Band damit zu sehr in den Dienst der deutschen Wirtschaft, die sich auf dem Festival prominent präsentiert?
Das Feature begleitet Zwirbeldirn auf ihrer Reise in ein Land, von dem man wenig weiß und über das viel spekuliert wird. Und stellt dabei die schwierige Frage, was Musik bewirken kann – und wo ihre Grenzen sind.
Christine Auerbach, Jahrgang 1981, ist für den BR immer wieder im Ausland unterwegs. Am liebsten erzählt sie dabei anhand von kleinen Geschichten von großer Politik. Ihre Recherchen haben sie bisher nach Russland, Ägypten, USA und Frankreich geführt. 2012 hat sie dafür den CNN-Journalist Award erhalten.

Wüstenblumen
Oder: Die Beschneidung von Mädchen

Von Heike Tauch

Samstag, 02.04.2016, 18.05 Uhr, DR Kultur

Nach Schätzungen der WHO leben heute auf der Welt rund 150 Millionen Frauen mit Genitalverstümmelung – in Deutschland um die 50.000. Millionen Mädchen droht jedes Jahr dieses Schicksal. Wie lässt sich dieses grauenvolle Ritual beenden?

Diese vor allem in Afrika angewendete Praxis, ist durch die Migration nach Europa längst auch bei uns ein Thema.

Was ist erforderlich, damit diese archaische Tradition zumindest hierzulande endet und nicht in den Nischen sich ausbreitender Parallelgesellschaften fortgeführt wird?

Tod und Frühling (2): La Mattanza
Eine sizilianische Trilogie der genreübergreifenden radiophonen Erzählformen

Hörstück von Werner Cee

Sonntag, 03.04.2016, 14.05 Uhr, SWR2

Jedes Frühjahr führt die Route der Thunfische direkt an Favignana vorbei. Im Laufe von 900 Jahren entstand dort eine rituelle Form der Thunfischjagd. Die letzte Mattanza ereignete sich 2007. Im Mai gibt es in Favignana keine Fische mehr, dafür Touristen. Von der Mattanza gibt es aber noch alte Aufnahmen, es erzählen von ihr noch Gesänge und es leben noch Zeitzeugen.

Die Wand erzählt mir alles
Der blinde Bergsteiger Andy Holzer

Von Juliane Möcklinghoff

Sonntag, 3. April 2016, 18:05 Uhr, hr2

Sechs der höchsten Berge aller Kontinente hat er bereits bestiegen, nur einer fehlt noch: der Mount Everest. Doch sehen wird er ihn niemals, genauso wenig wie all die anderen Gebirgszüge. Denn Andy Holzer ist von Geburt an blind.

In einem österreichischen 800-Seelen-Dorf wächst er auf. Die Eltern wollen ein normales Leben für ihren blinden Sohn, nehmen ihn im Alter von neun Jahren mit zu einer Klettertour. Sein Schlüsselerlebnis: Nicht nur, dass er sich, je steiler es wird, vorwärts tastend auf allen Vieren besser zurecht findet als Sehende, am Gipfel des Spitzkofels erfährt er zum ersten Mal seine spätere Leidenschaft: “Über mir war nur noch Himmel – das war ein ergreifendes Gefühl”, sagt Holzer 40 Jahre später.
Seitdem hat er unzählige Bergtouren hinter sich – auch alleine. Andy Holzer ertastet sich die Berge, hört mögliche Hindernisse am Hall seiner Schritte. In seiner Philosophie ist Unabhängigkeit “der größte Schwachsinn, den die Menschheit erfunden hat”.